Wer noch vor etwa 30 Jahren (ca. 1890) einen Blick in die Ortschaften Lichtenbach, Kummerdorf und Altfriesach warf, fand dort frohes Leben und reges Treiben. Die Lodenerzeugung, einer der wenigen Hausindustriezweige in Gottschee, hatte vor etwa 70 Jahren hier Wurzeln gefasst und fruchtbaren Boden gefunden.
Die Inhaber der kleinen Lodenfabriken waren zum großen Teil kaufmännisch gebildet und hatten außerdem Gelegenheit gefunden, sich auf ihren Geschäftsreisen große gesellschaftliche Gewandtheit und manchmal auch eine überraschende Vertrautheit mit mancherlei Bildungszweigen anzueignen. Ihre angenehmen Umgangsformen ließen oft nur schwer den einfachen, schlichten Landmann erkennen. So kam es, daß die gebildeten Kreise aus Gottschee und Tschernembl gern mit ihnen verkehrten. Oft wählten Ausflügler diese Orte zum Ziele ihrer Fahrten und es kam reges Leben in diese abgelegenen Ortschaften. Wenn ich erwähne, daß hier die deutsche Gastfreundschaft wie kaum anderswo geübt wurde, so ist es erklärlich, daß die Namen dieser Ortschaften überall einen guten Klang hatten und die Lodentucherzeuger in großem Ansehen standen.
Eine der markantesten Erscheinungen war wohl der im Jahre 1915 verstorbene Matthias Stalzer in Kummerdorf, der unter dem Namen „Bismarck“ überall bekannt war und geehrt wurde. Er hatte zwar nur eine ganz geringe Schulbildung genossen, wusste sich aber durch Selbststudium und eifrige Lektüre ein solches Maß von Kenntnissen auf den verschiedensten Gebieten zu erwerben, daß er jeden, der mit ihm in Berührung kam, durch seine Bildung überraschte. Dazu verstand er es noch, die Unterhaltung in geistreicher Weise zu führen und durch seinen Humor wohltuend zu beleben.
Es liegt auf der Hand, daß die Arbeiterschaft ihren Brotgebern so manches abguckte. Zeitungen und Zeitschriften wurden auch von ihnen gerne gelesen und an Sonn- und Feiertagen, wo die Arbeiterschaft am Wirtstische saß, konnte man aus ihren Gesprächen entnehmen, daß sie sich für Dinge interessierten, für die sonst die Arbeiter kaum ein Verständnis zeigten.
Die Bezahlung der Arbeiterschaft war auch für die damaligen Verhältnisse sehr gering.
Bei 12-14 stündiger Arbeitszeit verdiente
- der Mann bei vollständiger Verpflegung im Monate 8-10 Gulden (fl) [1],
- der Jüngling 3-4 Gulden
- nur der Weber konnte es bei fleißiger Arbeit auf 20-25 Gulden bringen.
Dafür saß man bei vollen Töpfen und auch der Wein fehlte nicht.
In Lichtenbach allein waren 70 Arbeiter beschäftigt, von denen keiner verheiratet war. Die Arbeiterschaft wählte unter sich einen eigenen „Bürgermeister“ (Zunftvorsteher), dessen Anordnungen sich alle fügen mußten. Lange Jahre versah dieses Amt in Lichtenbach der Weber und nachmalige Schmiedemeister Johann Kraker, der auch sonst im öffentlichen Leben eine Rolle spielte. An Sonnabenden versammelten sie sich z. B. in Lichtenbach unter dem Dorfnußbaum, um dort ihre Beratungen zu pflegen. Ihre Sonntagsgänge wurden stets gemeinsam unter Leitung ihres „Bürgermeisters“ unternommen. Es war unstatthaft, sich da abzusondern und auf eigene Faust einen Gang in einen benachbarten Ort zu machen.
Am Michaelistag (29. September) wurde bei der Arbeit zum erstenmale Licht angezündet und von nun an wurde auch bei Licht gearbeitet. Dafür gab der Hausherr seinen Arbeitern einen prächtigen Abendschmaus, der unter dem Namen „Lichtbratl“ (Lichtbraten) allgemein bekannt war. Dieses Fest wurde aber erst an einem Sonnabend im Winter abgehalten, nachdem man im Hause die Schweine geschlachtet hatte. Die besten Speisen wurden aufgetragen und auch der Wein floß in Strömen. Nicht selten fand das Gelage erst am frühen Morgen sein Ende.
Die Lustbarkeiten, die die Arbeiterschaft zu Fasching veranstaltete, könnten kaum überboten werden. Wochenlang wurde z. B. in Lichtenbach an der Erzeugung von Instrumenten gearbeitet und bei den Faschingsumzügen gab es eine förmliche Blasmusik. Bei diesen Umzügen wurden in den Häusern und auf offener Straße heitere Vorträge und Spottreden gehalten, die zur Erheiterung der Zuhörer wesentlich beitrugen. Kurz, es war ein lustiges Völklein, das hier in diesen abgeschiedenen Dörfern lebte.
War auch der Verdienst mager, so gab es doch für viele Familien im Dorfe lohnende Beschäftigung. Greise, Greisinnen und Kinder waren jahraus, jahrein mit dem Zupfen der Wolle beschäftigt. Sie säuberten die Wolle von Staub, Kletten und anderen unliebsamen Beigaben. Bei reger Arbeit konnte sich eine Familie im Tage 80 kr. bis 1 fl. verdienen.
Die der Schule entwachsenen Jungen fanden in den Fabriken als „Stücker“ Arbeit und Verdienst. Nach einigen Jahren rückte man zum „Vorspinner“, später zum „Feinspinner“ vor. Der Arbeit entsprechend, war nun auch der Lohn ein höherer.
Die Lodenerzeugung wurde durch Michael Lackner in Lichtenbach Nr. 13, den Großvater der in Gottschee lebenden Professorswitwe Maria Satter, ins Leben gerufen. Sein Sohn Johann Lackner hausierte als junger Mann in Böhmen, wo er Gelegenheit hatte, die Lodenerzeugung kennen zu lernen. Nach dem Rate seines Vaters, der ein heller Kopf war, kaufte er dort die nötigen Maschinen, es waren deren sieben, und es gelang ihm durch gute Worte und günstige Lohnaussichten auch die notwendige Arbeiterschaft zu gewinnen und sie nach Lichtenbach zu locken. So konnte also im Jahre 1843 in Lichtenbach die Lodentucherzeugung beginnen. Von der ins Ländchen gerufenen Arbeiterschaft blieben die Familien Wenzel, Hackl und Novak dauernd im Lande.
Die zur Verarbeitung erforderliche Schafwolle lieferte in erster Zeit die Umgebung von Griffen, Greifenburg und Wolfsberg in Kärnten, erst später wurde auch ungarische und albanische Wolle eingeführt.
Das junge Unternehmen begann bald zu blühen – der Loden fand besonders in Kroatien (Agram, Samobor, Brbovsko) reißenden Absatz – und ermutigte zur Anlage solcher Fabriken oder zum Handel mit Loden.
Hier seien die Namen der Lodentucherzeuger angeführt:
- Georg Tschinkel,
- Matthias Tschinkel
- Johann Lackner
- Andreas Lackner
- Matthias Jonke
- Josef Jonke
- Vinzenz Meditz und
- Andreas Schneller in Lichtenbach.
- Matthias Stalzer und
- Andreas Rom in Kummerdorf
- Johann Weiß und
- Johann Breser in Altfriesach
- Andreas Röthel in Neufriesach,
- Johann Hutter in Otterbach
- Johann Gramer in Reichenau
- Matthias Gramer in Katzendorf und
- Peter Neumann in Obermösel, der den maschinellen Betrieb durch Einführung eines Petroleum-Motors verbesserte.
Es ist erklärlich, daß die Konkurrenz, die nun eintrat, die Preise des Lodens stark herabdrückte. Ein Meter Tuch wurde um 80 kr. bis 1 fl. verkauft. Dabei war es von besonderer Güte. Ein Anzug konnte ein Jahrzehnt getragen werden. Erst in späteren Jahren wurde „Kunstwolle“ (Wollabfälle) aus Böhmen eingeführt und mit reiner Schafwolle vermischt. In den ersten Jahren wurde nur weißer und schwarzer Loden erzeugt, allmählich versuchte man karierten und melierten Loden herzustellen. Die neuen Muster fanden Anklang und es machte sich bald eine große Nachfrage nach solchem Loden geltend. Eigentümlicherweise wurde aber dieser Gottscheer Loden von der heimischen Bevölkerung gar nicht oder nur selten getragen.
Das Steigen der Schafwollpreise und die gegenseitige Konkurrenz brachten vor etwa 30 Jahren bald einen Stillstand in der Lodentucherzeugung mit sich. Viele Erzeuger stellten die Arbeit ein und nur wenige Fabriken fristeten bis knapp vor Ausbruch des großen Weltkrieges ein kümmerliches Dasein.
Der Loden wurde, nachdem er den Webstuhl verlassen, in Gereut a. K. gewalkt und sodann auf langen Stangen getrocknet. Der weiße Loden wurde vorher noch in der Schwefelkammer „geweißt“ (gebleicht). Der getrocknete Loden wurde hierauf in der „Schere“ (Schermaschine) glatt geschoren und dann in der Presse gepresst (appretiert) Wenn er auch noch abgemessen war, wurde er auf einer Winde fest aufgerollt, an den Enden vernäht und für den Verkauf bereitgestellt. In eigenen Wagen, die mit Plachen überspannt waren, wurde nun der Loden auf den Markt geführt, wohl auch an Kaufleute oder Schneider in ganzen Stücken, „Pißlain“, verkauft.
Unabhängig von dem maschinellen Betriebe wurde in Gottschee seit jeher auch der so genannte heimische Loden erzeugt, und zwar aus heimischer und küstenländischer Schafwolle. Diese Wolle – sie war weit länger als die übrige – wurde auf „Krtatsch´n“ (Bürsten) gekratzt und gebürstet, hierauf im Winter an den langen Spinnabenden „Praja“ auf Spinnrädern gesponnen und sodann gewebt und gewalkt. Dieser Loden wurde nicht geschoren und nicht gepresst. Er wurde vom Erzeuger nur an die Fabrikanten oder Händler abgegeben und erst von diesen auf den Markt gebracht. (Heimarbeiter !)
Dieser Zweig der Lodenerzeugung wird vielleicht jetzt wieder neue Triebe ansetzen, aber für die Lodenfabriken ist das Ende wohl gekommen und damit ist die einzige namhafte Hausindustrie in Gottschee wohl für immer geschwunden. Möchte sich der Unternehmungsgeist unserer Landsleute von neuem regen und auf anderen Gebieten Hausindustrien ins Leben rufen. Die Möglichkeit dazu ist ja vielfach gegeben.
Von W. Tschinkel