Bauer, prozessiere nicht!

Es gibt Leute, die sich gar nicht wohl fühlen, wenn sie nicht zu jeder Zeit mit irgendjemandem prozessieren können. Wie leichtsinnig und in vielen Fällen nur aus Rechthaberei werben Prozesse angefangen. Wie werden trotz aller Ermahnungen besonnener Leute langwierige und kostspielige Prozesse gefüllt, die neben großen Opfern an Zeit und Geld auch noch Gelächter und Schadenfreude der anderen eintragen! Wie geht der Friede in Familie, Nachbarschaft und Gemeinde durch Prozesse oft für immer verloren!

Prozess ! – bei diesem Wörtlein sollte es jedem eiskalt über den Rücken laufen. Der Prozess ist und bleibt ein notwendiges Übel wie der Krieg. Aber wie der Krieg soll er nur das letzte Mittel sein, wenn Verhandlungen auf gütlichem Wege zur Schlichtung des Streites erfolglos waren. Die erste Ursache vieler Bauernprozesse ist der Grundbesitz selbst. Ein unbedeutendes Stück Ackerland, ein Feldpfand, ein Graben, ein Fahrtrecht, ein Wiesenrain, eine Grenzfurche, ein Grenzgebüsch, ja sogar ein Grenzhaufen geben vielfach Anlass zu kostspieligen Prozessen, die Glück und Wohlstand rauben und den anfangs fachlichen und persönlichen Streit zu einer Familienfeindschaft ausdehnen. Dabei fragt man sich gar zu selten: Ist das Recht wirklich auf meiner Seite? und ferner zahlt es sich wohl aus, wegen dieser geringfügigen Sache zu prozessieren? Man erzählt von einem Richter, der zu Beginn der Verhandlung fast regelmäßig sagte: „Euer Rechtsstreit ist nicht eine Tabakpfeife wert geht vorerst in den „Goldenen Löwen“ und trinkt ein Glas Bier mitsammen, dann kommt und wir werben weiterreden.“ Das Verfahren dieses edlen und menschenfreundlichen Richters hatte fast immer den gewünschten Erfolg.

Die zweite Ursache vieler langwieriger Prozesse ist der Stolz, der das Herz verhärtet und eine friedliche Beilegung des Streites nicht zulässt. Mau will nicht nachgeben, nicht verzeihen, sich nicht ausgleichen, weil man fürchtet, dadurch seine Mannesehre zu schädigen oder sie zu verlieren. „Will doch sehen, wer’s länger aushält!“ meint so mancher in seinem Stolze. Durch ein einziges versöhnliches Wort könnte in vielen Fällen alles gut gemacht werben; aber lieber lebt der Prozessführer in langjähriger Feindschaft dahin, lieber trägt er alle Kosten, als dass er das Versöhnungswort aussprächt. Wer trägt die Schuld? Sein unbeugsamer Stolz. – Lieber Freund und Landsmann! Lass dich nicht selber durch deinen Gegner und Verfolger böse machen, indem du aus Stolz und Rache die strafende Gerechtigkeit anrufst! Und selbst wenn du notgezwungen mit ihm vor den Schranken des Gerichtes stehst, so muss er fühlen, dass du keinen Hass gegen ihn hegst und ihm Verzeihung schenkst. Wer ein Christ sein will, muss so handeln.

Eine dritte Ursache vieler Prozesse ist die Rechthaberei, das eigensinnige, starrköpfige Festhalten an seinem vermeintlichen Rechte. Es gibt so manchen „Prozeßhansl“, der sich immer im Rechte wähnt und eine Belehrung und Ermahnung rundweg ablehnt. Er lässt sich nicht überzeugen, seine Ansicht ist die einzig richtige auf der Welt.

Der andere hat schon von vornherein und stets unrecht. Dass auch er einmal unrecht haben kann und der andere recht, dass der andere auch das tun darf, was er tut, will ihm sehr oft nicht einleuchten. Mir Leidenschaft und Eifersucht verteidigt er sein „Recht“, indem er ausruft: „Unrecht kann ich mir doch nicht gefallen lassen, ich will sonst nichts, als nur mein Recht.“ Je länger der Prozess dauert und je größer die Kosten werben, desto weniger gibt er nach, wenn auch alles draufgeht. – In einem Dörfchen unseres Ländchens ging im Jahre 1912 ein Feldrainprozess zu Ende, der zwei Jahre gedauert und über 3000 K gekostet hatte. Der Schätzungswert des fraglichen Feldraines betrug ungefähr 30 K. Das war ein Prozess aus blinder Rechthaberei!

Eine weitere Ursache ist die Prozesssucht oder -wut, das ist das Prozessieren um des Prozessieret willen. In früheren Zeiten waren solche „Prozeßhansl“ wohl häufig anzutreffen, dermalen sind sie so ziemlich im Absterben. Vor vielen Jahren schrieb ein Prozesswütiger in seinem Testamente an seine Kinder: „Euer Vater hatte im ganzen 40 Prozesse, die er alle gewann. Dabei verlor er fast 10.000 Gulden.

Die Prozesse richten Hans und Hof, Familienglück und Lebenskraft zugrunde. Besser ein magerer Vergleich als ein fetter Prozess. „Hütet euch vor dem Prozessieren!“

Gewiss will ich dir, lieber Freund und Landsmann, nicht zumuten, dass du dir aus lauter Friedensliebe von anderen alles gefallen lassest. O nein ! Wenn ein Rechtsstreit unabwendbar ist und du dein Recht vor Gericht suchen musst, dann wende dich au einen tüchtigen, erfahrenen und redlichen Advokaten, dem du nichts verschweigen, ja sogar den kleinsten Umstand erzählen sollst. Sagt dann der Rechtsanwalt nach Überprüfung deines Rechtsstreites, du feiest im Unrechte und müssest nach den bestehenden Gesetzen verlieren, dann zeige dich nicht versteckt, gib nach und lass das Prozessieren sein. Lauf ja nicht zu einem so genannten Winkeladvokaten, welcher dich selbstverständlich ermuntert, drin Recht zu suchen, und dir in einemfort zuruft: „Das wollen wir schon kriegen, der Prozess muss gewonnen werben! Du stürzest dich in Unkosten und der Winkeladvokat lacht sich in die Faust. Dass es auch unter den Bauern helle und geriebene Köpfe gibt, die sich von den Advokaten nicht drankriegen lassen, zeigt folgendes Geschichtchen: Ein Bauer kommt zu einem Advokaten und erzählt ihm einen Streitfall. „Nehmen Sie den Prozess an und werben Sie ihn gewinnen?“ fragte der vorsichtige Prozesser – Advokat: „Aber selbstverständlich – den Prozess will ich annehmen und er wird auch gewonnen werden.“ Bauer: „Meint der Herr Doktor wirklich, den Prozess zu gewinnen?“ Advokat: „Ihr wisset doch, Recht muss Recht bleiben! Bei meiner Ehre – noch einmal sei es gesagt, der Prozess wird auf jeden Fall gewonnen werden.“ Bauer. „Ja – wissen Sie, lieber Herr Doktor, ich will den Prozess lieber sein lassen, denn ich habe Ihnen den Streitfall von meinem Gegner erzählt.

Heraus, mein teures Volk, heraus aus unsinniger Streitsucht und zeit- und geldraubendem Prozessgezänk! Es darf nicht mehr so weitergeben, dass Eigensinn und Rechthaberei, Stolz, Unversöhnlichkeit und Hass die Gerichte überlaufen, Existenzen vernichten, das Familienglück zerstören, die Eintracht des Volkes vergiften und unsere Kraft nach außen schwächen.

Hat dein Nachbar etwas gegen dich, hat er ein unrechtes Wort über dich gesagt oder hat er eine Handbreit von deinem Acker weggeackert, dann lauf nicht gleich zum Gericht und Advokaten! Versuche den Streit auf gütlichem Wege beizulegen und lass den Gegner zu Worte kommen, dann wird sich vieles aufklären! Bedenke und prüfe, ob nicht auch beim Gegner ein gut Teil des Rechtes ist! Unterwerfet euch einem Schiedsgerichte, zusammengesetzt aus Berufsgenossen, dem so genannten Bauerngericht, und lasset jeder etwas nach – immer besser als ein langwieriger und geldraubender Prozess!

Noch einmal zum Schluss. Nimm deinen gesunden Hausverstand zu Rate und flieh Advokat und Gericht.

Quellenangaben:

Gottscheer Kalender 1921
Hrsg.: Allgemeiner Ein- und Verkaufsvereine in Gottschee
Buchdruckerei J. Pavlicek in Gottschee
Seite 51