aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Unschuldige Opfer gab es viele

von Richard Lipowitz,
Suchen 5,
Wildbad-Eichelberg, Deutschland

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Mein Name ist Richard Lipowitz. Ich wurde am 29. 03. 1913 in Suchen Nr. 5 (Undresch) geboren. Meine Eltern stammen beide aus Suchen. Der Vater Franz Lipowitz, geboren 1873 vom Hofe Nr. 24 (Oberjukelasch), die Mutter, geboren 1874, geborene Jeschewnig-Gruber vom Bauernhofe Nr. 5.

In dem alten Hause der Familie Gruber war nach mündlicher Überlieferung die erste private deutsche Schule des Suchener Hochtales.

Nachdem von der deutschen Reichsregierung und Italien die Teilung Sloweniens beschlossen wurde, ist auch die Umsiedlung der Gottscheer Volksgruppe vertraglich besiegelt worden. Ich war damals im Sommer 1941 beim Forstamt Neu-Bistitz in Nieder-Österreich mit der Prüfungsbeschäftigung für den Reichsforstdienst (Beamtenlaufbahn) eingesetzt. In dieser Zeit hat mich die Volksgruppenführung in Gottschee aufgefordert, dringend in meine Heimatgemeinde zurückzukommen und die Vorbereitungen für die geplante Umsiedlung zu übernehmen. Mitten in der Prüfungsbeschäftigung war eine Beurlaubung nicht möglich, so war ich gezwungen zu kündigen und dadurch wurde ich später nicht mehr in das Beamtenverhältnis übernommen. Das bedeutete für mich eine große finanzielle Einbuße.

Noch vor der Rückkehr nach Gottschee schloß ich mit Friedhild geb. Spingler am 24. Juli 1941 in Reutlingen/Württemberg die Ehe. Am 25. Juli 1941 auf dem Wege nach Gottschee wurde vor Großlupp (Grosuplje) die Bahnstrecke von Partisanen zum ersten Mal gesprengt. Mit Schwierigkeiten gelang es, mit einem ital. Militär Transportzug über Agram (Zagreb) wieder auf unsere Strecke in Großlupp zu kommen. In der Nacht um 1 Uhr sind wir zu Fuß über den Göttenitzer Bergzug in Suchen angekommen. Die italienische Besatzung hat keine gute Vertrauensstimmung in unsere Dörfer gebracht, obwohl sie unsere Verbündeten waren. Zuerst mußten wir italienische Fahnen kaufen und beim gering­sten Anlaß diese zum Haus heraushängen. Oft wurde wegen Partisanenangriffen in der Nacht die Ausgangssperre verhängt und so kam es vor, daß Kirchgänger zur Frühmesse in Laserbach (Loski potok) erschossen wurden.

Als ich nach Suchen kam, war die Waldaufnahme (Vollkluppung) bereits abgeschlossen. Da die Männer dort mit den Holzmeßgeräten vertraut waren, ist diese Arbeit problemlos ver­laufen. Die Holzpreise waren immer sehr niedrig, dadurch sind die Holzvorräte hoch angewachsen. Es gab Parzellen mit 1.000 fm pro ha. Es war für den gottscheer Waldbauer eine große Schande und Armutszeugnis, den Wald „auszuplündern“. Und ein „schöner“ Wald war sein großer Stolz. Viele Jungwaldbauern haben in Auerspergschen Revieren gearbeitet und dort wurde nach dem „Plenterprinzip“ gewirtschaftet, d. h. Forstwirtschaft ohne Kahlschlag. Nutzung der stärksten Bäume, ungleichaltriger Bestandesaufbau mit Naturverjüngung. Analog wurde diese Methode auf den Klein-Privatwald übertragen. 1941 war fast noch ein sorgenloser Sommer, mit allerdings nur „halber“ Befreiung. Das Getreide war schon geerntet, damals noch mit der Sichel, wahrscheinlich mit diesem Gerät das letzte Mal. Wir durf­ten wieder auf dem Dorfplatz deutsche Lieder singen, was bisher streng verboten war. Dieses herrliche Gefühl der Befreiung kann nur erahnen, der die dauernde Unterdrückung selbst erlebt hat. Der „Schwäbisch-deutsche-Kulturbund“ war die Legitimation zur deutschen Volkszugehörigkeit (Vorsitz in Suchen: Wilhelm Pospischil). Durch die Randbesiedlung kamen viele Mischehen zustande. Aber gesprochen wurde in jedem Haus unbewußt und ohne Zwang nur gottscheerisch. Bei der Umsiedlung sind aller­dings mehr Familien zurückgeblieben als in den übrigen Gottscheer Dörfern.

Als die ersten Formulare vom Umsiedlungsstab eingetroffen waren, hat auch für uns im Suchner Hochtal die Stunde der Wahrheit geschlagen, denn wir waren zuerst dran. Wir gehörten zur Provinz Triest. Bei der Option gab es oft großen Arger, denn es wollten auch einige Slowenen umgesiedelt werden. Aus deutscher Sicht sollten aber nur deutsche Bauern an der neuen Reichsgrenze bei Rann angesiedelt werden. Mein Vater war todunglücklich beim Gedanken, seinen Hof für immer zu verlassen. Dazu hat er noch einen zweiten Besitz mit 24 ha (davon 12 ha Wald) gekauft und dafür viele Jahre in Amerika schwer arbeiten müssen.

Im Herbst 1941 wurden am Waldrand bei Merleinsrauth die ersten kleineren Partisanengruppen gesichtet. Sie wurden 2 Tage später im „Jagdhaus Miklitsch“ beim „Schtadelein“ von Italie­nern gefangen genommen. Es waren auch Studenten aus Laibach dabei. Sie hatten keine Ahnung, daß auch im Bezirk Cabar deut­sche Ortschaften existierten. Die tödliche Gefahr für uns war schon sichtbar. An Selbstverteidigung war nicht zu denken, denn wir waren völlig wehrlos der Umwelt ausgeliefert. In der Tat sind bei den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Partisa­nen und Italienern viele Zivillisten der Zurückgebliebenen ermordet worden. Hier nur einige bekannte Fälle: Schebal Maria (Puapesch Mitze), ihr Mann war Slowene, von Partisanen ermor­det und an der Straße nach Bärenheim in das Karstloch „Puapesch Löch“ geworfen. Von Mittergras Frau Schager (Gregelsch), ihr Mann war auch Slowene, von Partisanen erschos­sen. In Obergras die Tochter vom Gasthaus Miklitsch (Gregarsch) mit dem Kind im Arm wurden beide auf dem Acker, von Partisanen erschossen, gefunden. Sie ist als einzige in der Familie nicht umgesiedelt, weil ihr Mann ebenfalls Slowene war. Etwa 15 junge Männer (aus Suchen und Mittergras), die aus Mischehen stammten, wurden von Italienern erschossen. Diese mußten für Partisanenunterkünfte Bretter in den Wald bringen (ins „Prenoch“). Vor der Hinrichtung mußten sie ihr Grab selber ausheben. Sie waren nicht bewaffnet.

Die Umsiedlung hatte folgenden Verlauf: Eduard Leustik, Lehrer aus Merleinsrauth, war beauftragt die Dörfer Gehack und Merleinsrauth beim Verladen der Haushaltsgegenstände zu überwachen. Dieselbe Aufgabe hatte ich in den Ortschaften Obergras, Mittergras und Suchen. Wald-, Acker- sowie Haus­haltsgeräte wurden in Holzkisten verpackt. Auch Saatgut wurde mitgenommen. Die Pferdebesitzer fuhren mit ihrem Gespann zur Verladestation nach Mitterdorf. Die Rinder wurden über den Göttenitzerberg (ca. 1.200 m hoch), nach Masern und um den Windischdorfernock nach Mitterdorf getrieben. Dabei hatten sie einen Höhenunterschied von 800 m zu überwinden. Jede Familie durfte 1 Stück von jeder Tiergattung mitnehmen. Zuerst wurden die Lastwagen verladen. Eine schwere Arbeit, einzelne Kisten hatten ein Gewicht von mehreren Zentnern. Holländische Bus­fahrer haben den Personentransport übernommen. Im November gab es plötzlich 80 cm nassen Neuschnee. Das erschwerte den Transport gewaltig, Die Holländer haben zum ersten mal Schnee gesehen. Erst in Sodraschitz war es aper.

Der letzte Transport hat sich auf „Türkisch Platz“ (vor dem Gasthaus Turk in Suchen) gesammelt. Eine öffentliche Verabschie­dung haben die Italiener verboten. Die Zurückgebliebenen haben sich ebenfalls dort eingefunden. Nach ein paar Abschiedsworten und der Hymne gab es viele Tränen. Für die meisten war es ein Abschied für immer. Auch unsere Toten mußten wir für immer verlassen.

Die erste Nacht verbrachten wir im Mitterdorfer Kulturheime. Nachdem die Tiere verladen waren, schnaufte unsere Dampflock auf der vertrauten Strecke bis Laibach (Ljubljana) und von dort auf der Strecke nach Agram (Zagreb) kamen wir zur Endstation in „unsere neue Heimat“ oder „Heim ins Reich“ nach Rann (Brezice). Hier erwartete uns das erste Chaos. Die Organisation wurde den Gottscheern sofort aus der Hand genommen. Bis hierher ist alles reibungslos verlaufen. Aus der Begeisterung durch die bekannten Parolen „Heim ins Reich“ angefeuert, entwickel­te sich bald ein böses Erwachen und bittere Enttäuschung. Die DAG (Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft) hat uns dort erfaßt. Die braunen Angestellten wollten uns von erster Stunde an „Zucht und Ordnung“ beibringen. Der bisher an etwas mehr selbständiges Handeln gewohnte Gottscheer Bauer mußte jetzt vom DAG-Funktionär gehorchen lernen, laut Jawohl sagen und bedingungslos den Auftrag ausführen. So wurde von heute auf morgen aus dem freien Bauern ein Landarbeiter. Mit der Volks­gruppenführung wurde nicht viel besser verfahren. Selbständiges Denken, geschweige denn Handeln war unerwünscht. Eine Ex­trawurst irgendwelcher Volksgruppe war tabu.

Die Suchener Gemeinde wurde vorläufig in Zupelevec und Umgebung untergebracht. Zunächst mußte man in den Häusern, die die Slowenen Hals über Kopf verlassen mußten, aufräumen und wohnlich einrichten. Es war Winter, kalt und naß überall. Wir hatten kein Brennmaterial und kein vorrätiges Futter für unsere Tiere (zwei Pferde, zwei Kühe und zwei Schweine). Wir mußten gleich die Pferde mitsamt dem Geschirr ganz billig verkaufen (2.000,- Mark). Als wir uns einigermaßen wohnlich eingerichtet hatten, kam die Nachricht (es muß gegen Frühjahr gewesen sein), daß die Suchner nach Johannistal (St. Janz na Dol.) umziehen müssen. Aber vor uns waren schon die Partisanen dort und da wollte niemand mehr hin. Am Tage unseres Umzugs war in den Bergen außerhalb von Ratschach die Hölle los. Von Ratschach-Steinbrück führt ein ganz steiler Weg nach Johannistal. Auf der Schotterstraße lagen taubeneiergroße Hagelkörner und herun­tergeschlagene Baumäste. Unser „neues“ Haus fanden wir in Kirschendorf (Cresnice) bei Johannistal. Auf der westlichen Seite des Daches war kein Dachziegel mehr ganz, auch die Fenster mit den Fensterrahmen waren zertrümmert. Es war eine schreckliche schlaflose Nacht, überall kam Wasser von oben in die Wohn-räume. Zum Glück waren die Eltern nicht dabei. Sie mußten zwar das Haus in Zupelevec auch verlassen, wurden aber am Militär­flugplatz (Fliegerhorst) in Haselbach (Leskovec) angesiedelt. Nicht alle Suchner kamen nach Johannistal, dafür aber Umsiedler aus Bessarabien und aus Südtirol. Es ist eine sehr traurige Tatsache, daß ich und meine ganze Familie einer großen Südtiroler Familie das Leben zu verdanken haben. Es wurde mir ein schöner Hof mit einer großen Obstanlage und einem Kastanien­wald in Schönaich zugeteilt. Auf diesen mußte ich später zu Gunsten einer kinderreichen südtiroler Familie (6 Kinder) verzichten, Kaum war diese Familie eingezogen, da haben die Partisanen bei Nacht das Anwesen in Brand gesteckt und zuvor die ganze Familie ermordet. Genauso wäre es uns ergangen.

Nicht weit davon war ein wildromantischer kleiner Fluß, Mirna, in dem man damals noch Fischotter beobachten konnte. Die Grenze zu Italien ist dort verlaufen. In diesem abgelegenen Grenzbereich haben die Partisanen einen tückischen Plan ge­schmiedet. Im Sommer 1942 kam am späten Abend ein Zollbeamter zu mir und sagte, daß ihm der Komandant aus Lichtenwald telefonisch folgenden Befehl erteilt habe: „Alle jungen Männer im Johannistal und Umgebung sollen am nächsten Morgen um 1/2 4 Uhr am kleinen Fluß Mirna unterhalb von Schönaich erscheinen. Es muß dringend ein Wachhäuschen an der Grenze aufgestellt werden. Werkzeug wird aus Lichtenwald (Sevnica) gebracht, Waffen sind keine mitzubringen.“ Ich bin bis Mitternacht herumgelaufen, bis ich alle jungen Männer verstän­digt habe. Wir waren etwa 25 Mann und in der Morgendäm­merung sind wir in die Tiefe Schlucht in Richtung Fluß Mirna marschiert. Ich war aber sehr mißtrauisch und wollte zuvor auf der Zollstation bei Johannistal noch einmal selber mit dem Komandanten in Lichtenwald telefonisch sprechen. Dieser sagte mir, er habe niemanden diesen Auftrag gegeben. Wie dieses Telefongespräch für diese gemeine Todesfalle zustande kam, oder evtl. eine verräterische Abmachung des Zollbeamten mit den Partisanen beschlossen wurde, konnte nicht geklärt werden. Die Rede war, daß die Grenzbeamten in dieser abgelegenen Zone mit den Partisanen bei einem Glas Wein in Krmel eigene Abmachungen (Waffenstillstand) getroffen haben. Meine Leute waren mir zeitlebens dankbar, daß ich sie vor dem sicheren Tode gerettet habe.

Die DAG hatte ihre eigene Forstverwaltung. Sie wurde vom Chef der Zivilverwaltung für die Untersteiermark in Graz beauftragt, die Neueinteilung des Waldes in Kommunalwald und Privatwald durchzuführen. Durch Luftaufnahmen wurden die Bestände und Holzarten ermittelt, und ich habe im Bereich Johannistal-Ratschach die Luftaufnahmen ausgewertet. Dazu wurden mir auch tschechische Forststudenten aus Prag zugeteilt. Bei dieser Arbeit mitten im abgelegenem Walde, wurde ich zweimal mit gezielten Schüssen „aufs Korn“ genommen, aber Gott sei Dank hat kein Geschoß sein Ziel erreicht. Bei der Jagd in der Blattzeit auf den Rehbock war ich ebenfalls einmal selber der „Gejagte“ und eine Maschinengewehr-Garbe zerfetzte die Rinde an der Buche, wo ich saß, aber auch hier bin ich verschont geblieben. Das Jagen habe ich allerdings dann in dieser Region endgültig aufgegeben.

Meine nächste Aufgabe war, die Grenze zu Italien (okkupiertes Land) mit einem 100 m breiten Streifen im Walde freizuhauen. Die Grenzlinie aus der Landkarte wurde zunächst im Gelände fixiert. Beteiligt waren ein hoher italienischer Offizier und ein Offizier der Waffen-SS. Mit diesen beiden Herren mußte ich die Grenzlinie ablaufen. Es wurden mir von deutscher Seite 350 Holzfäller, Slowenen aus der Untersteiermark, zugeteilt. Alles andere mußte ich selber in die Wege leiten. Als Gehilfen bekam ich noch zwei Gottscheer: Karl Knaus aus Suchen und Adolf Schurga aus Mittergras sowie einen Slowenen namens Lesnjak aus der Untersteiermark. Unser Abschnitt begann bei Krmel (Kohlenbergwerk) und verlief westlich des Sawe-Tales über das Bergland bis 820 m ü. d. M. in Richtung Litija bei Laibach. Für die Aufseher und für mich kam noch ein „besserer“ Koch von einem Hotel aus Marburg. Ich habe aber sofort auf den Extrakoch und Extrawurst verzichtet und aus dem gleichen Topf gegessen wie die Arbeiter. Dadurch habe ich bei den Leuten vom ersten Tag an großes Vertrauen gewonnen. So kam es, daß in dieser äußerst kritischen Lage (Frontgebiet) ein einziger Mann zu den Partisanen übergelaufen ist. Ich habe den Arbeitern in dringenden Fällen auch erlaubt, über das Wochenende zu ihren Familien nach Hause zu gehen. Nach den Vorschriften war das streng ver­boten und ich habe dabei Kopf und Kragen riskiert. Die Arbeit war in dem weglosen Gelände äußerst schwierig. Über sumpfige Mulden und steile Hänge mußten tausende Festmeter Langholz mit Zugtieren bewegt werden. Die Holzfäller waren aber sehr fleißig und wir haben die Arbeiten im zugeteilten Grenzabschnitt in viel kürzerer Zeit, als geplant war, erledigt. Natürlich ist im Laufe der Monate auch viel Schlimmes passiert. Angst und schlaflose Nächte waren Dauerzustände. Das Knattern der Motorsägen (damals dort fast unbekannt), hat die hungrigen Partisanen angelockt. Sicher war ihnen bekannt, daß wir keinen Schutz und keine Waffen hatten. Erst in den letzten Wochen wurde ein Zug (24-30 Mann) Wehrmannschaft als Schutzeinheit im Gelände eingesetzt. Vorher war es für die Partisanen leicht, bei Nacht die Rinder aus den Stallungen zu holen. Sie feuerten mit ihren auto­matischen Waffen solange auf unsere Unterkünfte, bis sie alles Brauchbare mitgenommen hatten. In einer Nacht ist auch ein Schäfer aus Ulm (Württ.) mit 300 Schafen aus Johannistal ver­schwunden, nicht einmal sein Hund kam zurück. Auch unsere zuverlässigen Pferde-Holzrücker Anton Knaus und seinen 12jährigen Gehilfen (Bessarabiendeutscher) haben die Partisanen im Walde ermordet. Nachdem die Grenzlinie vom Holz geräumt war, kamen deutsche Pioniere und legten einen 5 m breiten Stachel­drahtzaun aus, damit der Schmuggelbetrieb unterbunden und die Bewegungen des Feindes etwas erschwert wurden.

Nachdem Italien 1943 kapituliert hatte, fiel den Partisanen jede Menge Waffen und Munition in die Hände. Der Durchbruch der nichtbewachten Grenze in Johannistal war vorauszusehen. Es ist auch von drüben die Drohung herüber durchgesickert, daß wir bis 1. Oktober 1943 das Gebiet bis zur Sawe zu räumen hätten. Ich habe diese Drohung sehr ernst genommen, und wir waren jede Nacht in Allarmbereitschaft. An eine erfolgreiche Verteidi­gung war ja nicht zu denken. Wichtig war nur, den Rückzug der Frauen und Kinder sowie der alten Leute zu organisieren und zu sichern. Diesen Rückzugsweg haben unsere Leute auch einge­halten, als unter Leuchtraketen von annähernd tausend Parti­sanen das Feuer aus automatischen Waffen auf Johannistal und umliegenden Ortschaften eröffnet wurde. Ich habe gewarnt, die Straße zu benutzen und geraten, nur durch den Wald nach Ratschach zu gehen. Um Mitternacht wurde das Dorf gestürmt und geplündert. Unsere „Wehrmannschaft“ (etwa 24 Mann) war nur mit jeweils 2-Mannposten um das Dorf verteilt. Unser Treffpunkt wurde in Ratschach (ca. 10 km) ausgemacht. In der Morgendämmerung haben wir unsere Frauen und Kinder dort gefunden. Meine Frau war schwanger und Wiltrud, die Tochter, war 1 1/2 Jahre alt. Ein slowenischer Knecht vom Nachbar hat sie von Johannistal bis Ratschach auf dem Rücken getragen. Bei dem Überfall waren unsere Verluste zwar gering, aber dennoch schmerzlich. Gefallen waren: Ludwig Jeschelnik 18 Jahre, Hermann Janesch 17 Jahre und ein Zollbeamter aus Osterreich. Im Walde, ermordet mit unzähligen Stichen, wurde noch gefunden der Säge- und Mühlenbesitzer bei Johannistal, ein nicht ausgesiedelter Slowene. Er war Witwer mit 4 kleinen Kindern (Mäd­chen) im Alter von ein paar Monaten bis 12 Jahren. Die Mutter ist bei der Geburt des jüngsten Kindes in Cilli gestorben. Die 12jährige Tochter hat dann die Versorgung ihrer jüngeren Ge­schwister übernommen.

In den letzten Monaten des Jahres 1944 ereignete sich noch ein unglaublich sadistischer Fall: In den zerstreut stehenden Häusern knapp an der Grenze bei Johannistal wohnten die Familien Franz Schurga aus Mittergras, ehem. Gendarmerie-Wachtmeister in Agram (Zagreb) und damaliger Bürgermeister von Johannistal sowie sein Nachbar Franz Glatz mit Frau und 3 Töchtern, jetzt in Obermendig, BRD, verheiratet.

Bei Nacht ist eine kleinere Partisanengruppe in die beiden Häuser eingedrungen. Sie verlangten zuerst Essen und alkoholi­sche Getränke. Dann mußte Franz Schurga seine beiden Pferde in sein Fuhrwerk einspannen, darauf wurden die beiden Häuser geplündert und alles Brauchbare aufgeladen. Die beiden Männer wurden mit Draht an den Händen gefesselt und hinten an den Wagen gebunden. In betrunkenem Zustand jagten sie die Pferde über die Grenze in die Nacht hinein. F. Glatz war ein schlanker zäher Mann, er konnte mit großer Anstrengung das Tempo halten. Dagegen war F. Schurga korpulent und stolperte auf den stei­nigen Wegen. Die alkoholisierten Partisanen schlugen auf die Pferde ein und schleiften Schurga fast zu Tode. In einer kleinen Haltepause versucht sich Schurga in der Todesangst das Leben zu nehmen. Das bemerkten seine Peiniger, warfen ihn in ein Loch und verscharrten ihn, noch bevor er starb. Das Gespann beweg­te sich weiter in Richtung Hornwald. Bei einer Vesperpause bemerkte F. Glatz Ermüdungserscheinungen bei den Banditen und konnte sich vom Wagen befreien. Es war in einem Waldstück und im dichten Gebüsch ist er blitzartig in die Freiheit gerannt. Es dauerte einige Tage, bis er sich nach Hause durchschlug, zu allem war er auch noch kurzsichtig und er trug keine Brille. Ausgeruht hat er manchmal in der Totenkammer auf Friedhöfen, dort hat er sich am sichersten gefühlt. Am Heiligen Abend konn­te ihn seine Frau (Dretschiklesch Milka) und seine kleinen Töchter überglücklich wieder in ihre Arme schließen. F. Schurga hinterließ die Frau mit 6 kleinen Kindern.

Im März 1944 war unter dramatischen Umständen unser Gunter geboren. Der junge slow. Knecht beim Nachbar Ludwig Schager in Kirschendorf hat um 1 Uhr in der Nacht die Hebamme in Ratschach (10 km) mit der Pferdekutsche geholt und kam gerade noch zur rechten Zeit um 4 Uhr in der Früh an. Es war von ihm eine Heldentat, denn die Maschinengewehre peitschten die ganze Nacht von den Bergen herunter. Gunter war ein kräftiger Junge und lebt heute in Australien. Im März ist sein 50ter Geburtstag. Seine Hobbys sind Freifallspringen und Drachenfliegen. Beruflich ist er ausgebildeter Holzkaufmann, er macht aber aus Holz handgeschnitzte (oder gedrechselte) Vasen, Leuchter usw. Die Sorge um den Schutz der Familie war immer größer. Manchmal suchten wir Schutz außerhalb unseres Dorfes in den Bergen. Einmal versteckte uns eine slowenische Frau in ihrem Heustadel. Wir haben uns in der oberen Etage in das Heu eingegraben. Wiltrud war 3 Jahre alt und Gunter erst ein paar Monate. Die Besitzerin hat die Leiter unten versteckt. Die „Frei­heitskämpfer“ haben hier Rast gemacht, aber zum Glück zogen sie wieder weiter, ohne Verdacht zu schöpfen. Es war aber eine äußerst gefährliche Situation, denn in solchen „verräterischen“ Fällen haben sie auch ihre eigenen Leute auf bestialische Art umgebracht. Die Überfälle waren immer häufiger und die Wehrmannschaft aus Rann kam nur selten nach Johannistal. Meine Frau ist schließlich mit den Kindern allein geblieben. Sie packte ihre Nähmaschine (den Kopf) und mein Jagdgewehr ein und fuhr im Oktober 1944 mit dem letzten noch möglichen Personenzug über Graz – Wien nach Reutlingen. Reutlingen haben die Franzosen unsicher gemacht und sie floh wieder mit dem Handwägele und den beiden Kindern nach Lauterrach auf der Schwäbischen Alb.

Ich mußte im August 1944 von Johannistal an die russische Front in der Oststeiermark. Die Russen haben sich östlich von Weiz eingegraben, es war Stellungskrieg. Die I. Gebirgsdivision kam aus dem Süden und wurde dort mit dem letzten Aufgebot neu formiert. Mein Trupp (12 Mann) hatten Anfang Mai 1945 12 Stunden Gefechtspause und wir suchten uns, nicht weit von den Schützengräben, in einer Scheune einen ruhigen Platz aus. Waschen und rasieren kannten wir schon lange nicht mehr. Wir wollten nur essen und schlafen. Dazu habe ich mich in der obe­ren Etage in das Heu eingebuddelt. Mitten in der Nacht kam eine russische Granate als Volltreffer und das ganze Dach flog in die Luft. Meine Kameraden, die am Boden ihr Lager hatten, haben entsetzlich geschrieen. Sie wurden von Granatsplittern getroffen.

Ich kam wiederum heil davon und nur noch mit zwei oder drei Mann zurück in den Schützengraben. Ein paar Tage später war der Krieg zu Ende und für mich ein Gefühl einer unbändigen Freiheit. (Mein höchster Dienstgrad war Ober-Gefreiter). Kein Kommando mehr. In Salzkammergut am Mondsee bekam ich von einem Bauer alte Kleider (meine Uniform habe ich dort gelassen) und einen alten Rechen, mit dem ich durch alle „Feindeslinien“ bis Reutlingen zu meiner Familie marschiert bin (ca. 800 km). Ende Mai bin ich angekommen und das war ein großer Festtag, so als ob wir den Krieg gewonnen hätten. Meine Eltern konnten in ihrem hohen Alter (über 70 Jahre) die Fluchtstrapazen über die Karawanken nicht mitmachen. Sie haben einfach unauffällig auf dem Acker in Haselbach weitergearbeitet. Etwa Mitte Juni wurden die letzten Gottscheer aufgestöbert und zur Bahnstation Gurkfeld gebracht, wo sie die ganze Nacht im Regen stehend auf den Abtransport warten mußten. Bei der Kontrolle des Handgepäcks mußten sie wertvolle Gegenstände abgeben. Der Zug brachte sie nach Graz, wo sie zwischen den Ruinen Unterkunft suchten. Von Graz wurden sie in das Flüchtlingslager Kapfenberg gebracht. Viele Gottscheer sind in dem berüchtigten Lager in Sterntal umgekommen. Mikolitsch Milka (Matitzen aus Gehack) kam auch dort in Gefangenschaft. Sie erzählte mir, daß im Dusch­raum ausgestochene Menschenaugen auf dem Boden herumla­gen. Dieser makabre Anblick hat die Furcht vor Quälerei noch mehr gesteigert.

Die Welt war für mich nicht kleiner geworden. Der Wille für einen Neuanfang war ungebrochen. Die Franzosen haben meinen Schwager Helmut Spingler von zu Hause in Reutlingen abgeholt und für 2 Jahre in Gefangenschaft gebracht. Daraufhin ging ich nach Memmingen/Bayern in die amerikanische Zone. Die Ame­rikaner stellten mir sofort die Entlassungspapiere aus und damit war ich wieder ein freier Mann. Nach zwei Monaten Arbeit beim Forstamt Memmingen kehrte ich wieder zu meiner Familie nach Reutlingen zurück. Nach dem Krieg waren in Württemberg 350 Forstreviere nicht besetzt. So wurden mir gleich zwei Reviere, Undingen und Kleinengstingen beim Forstamt Lichtenstein zugeteilt. Weil mir der Tannenwald von Haus aus mehr zugesagt hat, übernahm ich 1948 das Revier Aichelberg im Schwarzwald. In meiner 30jährigen Dienstzeit im Schwarzwald habe ich mich besonders um die „Naturgemäße Waldwirtschaft“ bemüht. (In Württ. durch Dr. Karl Dannecker bekannt). Meine diesbezügliche Einstellung hat aber bei der Forstbehörde keine Zustimmung gefunden. Inzwischen hat sich zum Glück das Blatt gewendet, denn auf der Fachhochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg am Neckar hat den Lehrstuhl Waldbau Prof. Dr. Hans-Peter Ebert inne und er setzt sich beim forstlichen Nachwuchs entschieden für den Plenterwald ein. Im Juni 1994 wird eine forstliche Exkursion nach Gottschee stattfinden. Die erste planmäßige Forsteinrichtung nach dem Plenterprinzip (Forstwirtschaft mit Dauerbestückung ohne Kahlschlag) wurde in Europa zuerst beim Fürst-Auersperg’schen Forstamt Gottschee vor 100 Jahren von Dr. Leopold Hufnagel eingeführt. Zum 100. Jahrestag 1991 hat Dipl.-Ing. Anton Prelesnik (Gozdno gospodarstvo Kocevje) eine Broschüre über die Forstwirtschaft im Gottscheerland herausge­geben und darin die Leistungen von Hufnagel gewürdigt.

Meine Familie ähnelt im kleinem dem Bilde unserer Volksgrup­pe. Wir haben 6 Kinder und diese sind in aller Welt verstreut.

Die älteste Tochter Wiltrud, geb. 1942 in Johannistal, ist in Düsseldorf verheiratet und hat 3 Söhne und eine Adoptivtochter.

Gunter, geb. 1944 in Johannistal, machte die Holzfachlehre in Wildbad, lebt in Australien, ist verheiratet und hat 2 Kinder.

Roland, geb. 1945 in Reutlingen, ist Forstamtmann beim Forstamt Blaubeuren auf der Schwäb. Alb, verwitwet und hat 1 Sohn.

Rüdiger, geb. 1949 in Aichelberg, hat Zimmermann gelernt, ist seit 1968 in Kanada, selbständiger Unternehmer, verheiratet und hat 2 Kinder.

Dietrich, geb. 1956 in Aichelberg, Abitur in Neuenburg/Württ., Absolvent der Universität für Luft- und Raumfahrt in Maryland, USA, graduiert 1984. Sein Studium hat er als Busfahrer und als Pilot, er flog in den frühen Morgenstunden die Post in die Karibik, selber finanziert. Er absolvierte als Zweitstudium an der Universität Minnesota Betriebswirtschaftslehre (MBA) und ist 1991 gra­duiert worden. Er ist Flugkapitän und fliegt die Boeing 727 für 180 Passagiere und die DC-10 für knapp 400 Fluggäste.

Friedhild, geb. 1959, holte mit 30 Jahren das Abitur nach und stu­diert jetzt Tiermedizin in Berlin. Zuvor war sie 2 Jahre in Tokyo, wo sie Studenten Englischunterricht erteilte. Sie spricht japanisch und ist mit einem Japaner verheiratet.

Trotz der großen, in einem Falle riesigen Entfernung sind unse­re Familienbindungen eng. Die Kinder besuchen uns in ihrer Heimat und wir begeben uns auf die weiten Reisen zu ihnen, so oft es nur geht.

Dieser Bericht soll nicht alte Wunden aufreißen, sondern zur gegenseitigen Achtung beitragen. Wir wollen keine Rache und verzichten als Beitrag zum Frieden auf die Rückkehr in unsere Heimat. Wir haben eine 600jährige gemeinsame Geschichte und freuen uns, daß die 2 Mil. Slowenen (ehem. „Krainer“), sich aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg rechtzeitig gelöst haben und den Weg zur europäischen Gemeinschaft suchen. Von deutscher Seite werden sie sicher dazu Unterstützung bekommen.

Das schon jetzt im Anfangsstadium eine Zusammenarbeit mög­lich ist, haben mehrere gemeinsame Veranstaltungen, wie die Einweihung der Gedenktafel in Corpus Christi, Gottschee und 1992 in Suchen (Draga), bewiesen. Dafür möchten wir uns noch einmal beim Erzbischof Alojz Sustar, Laibach (Ljubljana) und Herrn Dr. Michael Petrovic, Bürgermeister in Gottschee (Kocevje) ganz herzlich bedanken. Auch Prof. Stane Peterlin, Biologe und Berater beim Kultusminister sowie seiner Gattin, ebenfalls Bio­login, gebühren für ihr Wirken als Dolmetscherin und als Mitorganisatorin der gegenseitigen Exkursionen von und nach Deutschland Dank und Anerkennung.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994