Das Gottscheer Volkslied

Als die ersten Siedler in das Gebiet der Gottschee kamen, brachten sie ihre Sprache, Bräuche und Lieder mit. Dass davon viel erhalten blieb, hat seinen Grund im Zusammenhalt der Sprachinsel. In einer fremden Umgebung hält eine kleine Gruppe wesentlich stärker an alten Traditionen fest, um sich gegen alle anders-artigen Einflüsse zu wehren. So werden – im Vergleich zum Ursprungsland – Bräuche viel länger unverändert beibehalten. Man kann ganz allgemein ein hohes Alter der vorhandenen Kultur annehmen. Dies gilt im besonderen auch für die Lieder der Gottschee.

Das Gottscheer Volkslied kann mit folgenden Stichworten charakterisiert werden: 1. Einstim­migkeit, 2. kleiner Tonraum, 3. geringe Zeilen­anzahl, 4. Variantenreichtum.

Singen hat seinen Ursprung im Rezitieren, dem Stadium zwischen Sprache und Gesang. Rezitation war ursprünglich spontan erfundener Vortrag, ausgeführt durch einen einzelnen Sänger und daher einstimmig. Die Einstimmig­keit blieb auch im daraus entstandenen Lied vorrangig.

Rezitation bewegt sich, da es sich um eine ausgeweitete Sprachmelodik handelt, in kleinem Tonraum. Eine Seltenheit des ganzen deutschen Sprachraumes findet sich unter Gottscheer Volksliedern: Melodien mit einem Zwei- oder Dreitonraum. Dominierend ist aber der Vier- und Fünftonraum, allerdings in vielfältigen Formen, die von den uns geläufigen Tongeschlechtern Dur und Moll abweichen.

Auch die geringe Zeilenanzahl ist durch die Rezitation bedingt: Lange Balladen haben oft nur ein- oder zweizeilige Melodien, die wie eine musikalische Formel häufig wiederholt werden. Das ergibt eine gewisse Monotonie, die den Zuhörer ungeheuer fasziniert und in ihm den Eindruck von Zeitlosigkeit erweckt.

Kaum ein Gottscheer Volkslied existiert, das nicht mehrere Text- und Melodievarianten hat. Dies zeugt von der Beliebtheit der Lieder, die immer wieder gesungen und je nach Art des Sängers abgewandelt wurden. Rezitation hat, wie bereits gesagt, improvisatorischen Charakter, Abwandlungen sind ein typisches Merkmal.

Der Vergleich des Liedgutes deutscher Siedlungsgebiete mit musikalischen Quellen des 12. bis 16. Jahrhunderts ergab, dass viele Liedtypen bis ins Mittelaiter zurückreichen. Gerade unter den Gottscheer Volksliedern sind viele solcher Liedtypen zu finden. manchmal sind sie das einzige noch vorhandene Beispiel. die Lieder der Gottschee sind für den Volksliedforscher eine Quelle, die noch lange nicht ausgeschöpft sein wird.

Ulrike Bodamer-Lackner

Quellen:

Langspielplatte „Dü hoscht lai oin Attain ..“ 1976
Gottscheer Sing- und Trachtengruppe der Gottscheer Landsmannschaft Klagenfurt

Text am Platten-Cover.