Ein Ausflug in die Gottscheer Schweiz

Der Sommer ist da. Alles strömt hinaus, um sich mit einem lauten Aufschrei in die Arme der barmherzigen Mutter Natur zu stürzen, die Liebkosungen wie Abstürze gleich geduldig entgegennimmt. Kaum gibt es mehr ein schönes Fleckchen Erde, das nicht schon von den Blicken der vielen Neugierigen entweiht wäre, wo nicht die Kunst der Natur nachzuhelfen glaubte, während sie gerade das Gegenteil erzielte. Und besitzen doch solche unentweihte, entlegene Erdenwinkel in ihrer Unberührtheit den größten Zauber! Hier, fern von allem menschlichen Treiben, vermag der gedrückte Erdenpilger endlich einmal ganz aufzuatmen, hier fühlt er sich frei von aller Erdenlast.

Solcher glücklichen Erdenwinkel kann sich gerade unsere heimische Mark noch rühmen. Sie stehen zwar an Großartigkeit hinter den Alpen zurück, aber im Kleinen bieten sie Ähnliches wie jene im Großen und dazu kommt noch jener Zauber der Jungfräulichkeit. – Voran geht wohl jener Teil des Ländchens Gottschee, dem man längst den Namen „Gottscheer Schweiz“ gegeben, das Gottscheer Hinterland. Liebliche Gegenden, wechseln da ganz unvermittelt mit wild zerklüfteten Schluchten, was umsomehr überrascht, als mau einen solchen Anblick oft gar nicht vermutet.

Leicht erreicht man von Gottschee aus nach einer dreistündigen Wanderung den Hauptort des Hinterlandes, Rieg, und von da in einer Stunde das Gebirgsdorf Morobitz mit seiner hübschen Kirche, dem freundlichen Schulhaus und den biederen Bewohnern.

Die prächtige Kirche, das nette Schulhaus und den schönen Pfarrhof verdankt die Gemeinde dem in Unterskrill im Jahre 1876 verstorbenen Pfarrer Johann Krische aus Aschelitz bei Tschermoschnitz. Er ließ sie in fünf Jahren (1858-1863) ohne geldliche Beihilfe der Gemeinde erbauen. Der äußerst verdienstvolle Seelsorger, der in Morobitz von 1850-1876 wirkte, war ein ebenso eifriger wie fachkundiger Obstbaumzüchter. Bald fanden sich unter seinen Pfarrinsassen gelehrige Schüler, die ihm in der Obstbaumpflege nacheiferten. Die öden Gärten verwandelten sich in regelrechte Gartenanlagen und heute sind die Häuser in einen Wald von Obstbäumen eingebettet.

Blickt man da an den steilen, hohen Berglehnen empor, die gleich hinter den blühenden Gärten im Westen des Dorfes hinansteigen, glaubt mau schier, man sei hier am Rande der großen Erdscheibe angelangt. Keine Straße führt hinüber, keine Kunde dringt herüber. Doch verfolgt man den Pfad, der am nahen Dörfchen Innlauf vorbei, durch eine Schlucht sauft ansteigend, zur einer schmalen Einsattlung, der Krempe, führt, so wird man gewahr, dass jenseits des großen Walles auch eine Welt liegt aber eine neue Welt, überwältigend in ihrer Großartigkeit gegenüber der sanften Schönheit der diesseitigen Landschaft. Betroffen traten wir, als wir zum ersten male die Krempe befeuchten, von dem jähen Abgrund zurück, der einem da plötzlich entgegengähnt. Senkrecht stürzen die Hänge ab, mächtige Felsen ragen aus der Tiefe empor, hie und da reckt eine Fichte sehnsüchtig ihre Arme herauf zum Reiche des Lichtes und tief unten rauschen die Fluten der Kulpa durch das stille Tal, das Krain und Kroatien trennt. Jenseits erheben sich wieder staffelförmig mächtige Gebirgszüge, nicht weniger als sechs hintereinander, und schließen erst in weiter Ferne das großartige Landschaftsbild ab.

Noch blickten wir traumverloren in die Ferne, von wo uns der mächtige Schneeberg herüberwinkte, da schreckte uns plötzlich ein Schuss aus unseren Träumen auf, der in vielfachem Echo von den gewaltigen Felsen widerhallte, die sich rechts und links auftürmen und in denen noch der Adler horstet. Nach einer halbstündigen Wanderung waren wir wieder unten im Dorfe.

Doch das ist nicht das einzige, was Morobitz bietet. Am Nachmittag geleitete uns ein freundlicher Landwirt, der die Führung übernommen hatte, nach Suchen. Wir passierten Eben, den Geburtsort des bekannten Gottscheers Johann Stampfl, wo sich uns der Förster, ein wackerer Weidmann, anschloss. Wir betraten nun die Re­viere des Fürsten Auersperg. Ein immergrüner Fichtenwald umfängt da den Wanderer; rechts und links klettern Eichhörnchen an den Stämmen empor, unablässig tönt das Rufen des Nusshähers. In dem Zauber, der uns umgab, merkten wir kaum, dass wir fast eine Stunde Weges inter uns hatten. Plötzlich sahen wir eine reizende Talmulde vor uns, mitten darin ein freundliches Jägerhaus und daneben ein Gasthaus, das uns freundlich zum Verweilen einlud! Wir waren am Ziele unserer Wanderung. Enttäuscht blickten wir unseren Führer an: „Und das hier – wie sagten Sie doch? Richtig, die „Shueche“ – soll schöner sein als die Krempe?“ Statt aller Antwort führte uns Herr L. (bald hätte ich den Namen unseres Führers verraten.) noch einige Miauten weiter. Wir schritten durch ein sorgsam bearbeitetes Ackerland, dann durch hohes Gras, das gerade unter der Sense des Mähers siel, um plötzlich mit einem lauten Ah! stehen zu bleiben. Mit welchem Behagen sich jetzt der Alte an unseren entzückten Mienen weidete. „Auch bei uns ist es schön.“ sprach er voll Stolz auf sein Heimatland und wir mussten ihm Recht geben.

Wieder rechts und links hohe Felswände und knapp vor uns ein jäher Absturz, wohl den Kölner Dom au Höhe übertreffend. Ein schwindliger Steg, nicht ungefährlich, führt hinab zu dem Flüsschen Tschubranka und dem Dörfchen Weißenbach. Gerade klomm unter uns mühsam ein Weib empor, seufzend unter der schweren Last, die sie aus der Mühle geholt, die tief unten liegt „in einem kühlen Grunde“ Wir sahen das lustige Treiben der Räder, das Klappern aber hörten wir nicht.

Jenseits der Tschubranka führt eine schöne Straße von Brod nach dem Städtchen Tschuber, das man zum Teile noch mit freiem Auge wahrnehmen kann. Und dahinter wieder Gebirge auf Gebirge, die im Schneeberg ihren höchsten Punkt erreichen.

Nur mühsam rissen wir uns von diesem Anblicke los, den man sich übrigens so mühelos verschaffen kann. Allein die Sonne neigte sich schon dem Schneeberge zu, hinter dem sie zur Ruhe geht. Nach einem kräftigen Imbiss und einem guten Trunk verließen wir das reizende Suchen und kehrten in gehobener Stimmung nach Morobitz zurück.

Quellenangaben:

W. Tschinkel
Gottscheer Kalender 1921
Hrsg.: Allgemeiner Ein- und Verkaufsvereine in Gottschee
Buchdruckerei J. Pavlicek in Gottschee
Seite 56