aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Kinder wir geben nicht auf, wir gehen über die Berge

von Maria Wolf, geb. Perz
Windischdorf 5,
Radfeld / Tirol

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Mein Name ist Maria Wolf, geb. Perz, geboren in Windischdorf Nr. 5. Wir hatten einen Gasthof und mehr als eine Hube, also eine 5/4 Hube. Der größte Besitz in Windischdorf. Meine Mutter kommt aus Windischdorf, geb. Krobath, Nr. 26. Und mein Vater kommt aus Ort bei Mitterdorf. Leider hab ich meinen Vater schon mit 2 1/2 Jahren verloren, der durch ein Zugunglück ums Leben kam. Nach 3 Jahren hatte sich meine Mutter wieder verheiratet, vom alten Bürgermeister Mathias Siegmund in Mitterdorf der Sohn, Josef Siegmund. Dazu kamen dann noch drei Stiefge­schwister. Aber unser Vater kannte keinen Unterschied, so bin ich genauso aufgezogen worden wie seine Kinder. Nein, mein Stiefvater wurde nicht Bürgermeister, später war er Ortsgrup­penführer im Ansiedlungsgebiet.

Ich ging in Mitterdorf zur Volksschule. Da ich die älteste war, hatte mich meine Mutter sehr viel daheim gelassen, weil sie mich gebraucht hat und sie mußte manche Strafzeit bezahlen. Ich hätte gerne studiert, aber dafür war einfach keine Zeit. Ich habe aber drei Jahre Nähen und Kochen gelernt. Lieber wollte ich Kranken­schwester werden, aber meine Mutter sagte: „Du bist lieber am Kochen, lerne lieber das.“ So hab ich das Kochen und Backen gründlich gelernt. Mit 21 Jahren war ich ausgelernte Köchin. Eines Tages kam Herr Dr. Arko mit Herrn Dr. Neunteufel zu uns und sagten zu meinen Eltern: „Wir wollen jetzt ihre Tochter ent­führen auf einen ganz großen Bauernhof in Sachsenheim und da ist auch gleich die Landwirtschaftsschule in Ludwigsburg dabei.“ Und da war ich fast vier Jahre. Das war eine Domäne, ein Staatsgut mit 64 Angestellten. Wir waren lauter volksdeutsche Mädel. Kärntnerinnen, Siebenbürgerinnen, Banatdeutsche und meine Wenigkeit. In dieser Zeit habe ich auf dem großen Bauernhof so vieles gelernt, daß ich bis heute noch gar nicht alles anwenden konnte. Das Einkochen und Konservieren, die Dampfentsaftung mit der Sismusglocke usw. Immer auf beide Arten: mit Maschinen und Geräten oder primitiv ohne alles, damit auch der Lebensmittel haltbar machen konnte, der sich keine Maschine leisten konnte.

Ja, von 1932 bis 1936 habe ich das Gastgewerbe erlernt und von 1936 bis 1939 war ich auf diesem Hof, in Sachsenheim in Würt­temberg. Dr. Arko und Dr. Neunteufel sahen vor, daß ich diese neuen Techniken und Erkenntnisse im Haushalt später im Gottscheerland würde weitergeben. An eine Umsiedlung der Gottscheer hat damals kein Mensch gedacht. In der Heimat soll­te auch die Vorratswirtschaft modernisiert und verbessert werden. Er wollte helfen, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu ver­bessern. Deshalb suchte Dr. Neunteufel tüchtige Mädel im Gottscheerland, die hierbei mitwirken könnten. Ich sollte wieder zurückkommen und das Erlernte in Kursen weitergeben.

Als ich von Sachsenheim aus Deutschland zurückkam, arbeitete ich wieder im elterlichen Betrieb in Windischdorf und das bis zu meiner Vermählung mit Willi Wolf aus Gottschee, am 14. November 1940. Sein Beruf war Maler.

Da mein Großvater in Mitterdorf verstorben war und mein Bruder noch zu jung war, die Gastwirtschaft weiter zu führen, bat man uns, es zu tun. Wir stimmten zu. Mein Mann blieb aber trotzdem bei der Malerei mit seinem Bruder Ferdinand. Die Gastwirtschaft war in Mitterdorf Nr. 11 beim alten Bürgermeister, Mathias Siegmund, so hat man das immer genannt. Er war weit und breit bekannt, denn er war Feuerwehrhauptmann und Bürgermeister die ganzen Jahre. Und da blieben wir bis zur Umsiedlung. Wir waren eine der letzten, die umgesiedelt wurden, weil in der Gastwirtschaft immer noch gekocht werden mußte. Am 28. 01. 1942 war es dann so weit. Wir sollten in St. Leonhard 84, das war am Bahnhof in Rann, angesiedelt werden. Meine Eltern wurden in Munkendorf, das war ca. 3 km entfernt, auch in einer Gast-und Landwirtschaft mit Weinbergen eingesetzt. Da aber das Haus meines Mannes, in der Stadt Gottschee, zu jener Zeit noch nicht grundbücherlich übertragen war, haben wir das erst in Rann bei Gericht machen lassen. Die Siedlungsstelle, St. Leonhard 84, am Bahnhof in Rann konnten wir erst übernehmen, wenn die Grundbucheintragung des Gottscheer Besitzes auf den Namen meines Mannes vollzogen war. In diesen 3-4 Monaten haben wir bei meinen Eltern in Munkendorf bei Rann, Sawe gewohnt.

Handelt es sich dabei um das Haus in Mitterdorf, das Ihnen rechtmäßig nicht übergeben worden ist?

Nein, nicht in Mitterdorf, sondern um das elterliche Haus meines Mannes in der Stadt Gottschee. Mein Mann arbeitete noch eine Zeitlang als Maler, wurde aber dann zum Volkssturm eingezogen und beim Landratsamt Rann als Betreuer und Wächter der Kriegs-und Strafgefangenen angestellt. Die ganzen Jahre, bis der Krieg aus war. Und mich hat man gleich bei der Wirtschaftsberatung im Kreise Rann angestellt, das zum Kreisernährungsamt gehörte. Meine Aufgabe war es, im Ansiedlungsgebiet Kurse durchzu­führen und das seinerzeit in Deutschland Erlernte weiterzugeben. So führte ich Konservierungskurse für Fleisch, Gemüse und Obst durch, lehrte wie Hausgärten zweckmäßig anzubauen sind, was bei der Ausbildung von Haus- und Wirtschaftslehrlingen zu beachten ist. Im Ansiedlungsgebiet wurden drei unterschiedliche Bauernhöfe errichtet: Die Einser-Höfe waren berechtigt, Hausarbeits-oder Hauswirtschaftslehrlinge auzubilden. Der Hof mußte vor allem sehr sauber und richtig geführt sein. Es mußten ferner die richtigen Ställe für Schweine und Geflügelwirtschaft vorhanden sein. Wenn die Wirtschaftsberaterin diese Voraussetzungen als erfüllt befunden hat, wurde er als Ausbildungsbetrieb bestätigt und es wurde ihm ein Hausarbeits- oder Hauswirtschaftslehrling zugeteilt.

Wir waren im ganzen 45 Wirtschaftsberaterinnen, nicht nur für den Kreis Rann, sondern für die ganze Steiermark. Über den 45 Wirtschaftsberaterinnen war eine Oberwirtschaftsberaterin, Frau Dr. Kalin, die von der Landesbauernschaft Graz über uns wach­te. Für den Kreis Rann, wo die Gottscheer angesiedelt waren und auch noch Slowenen von früher wohnten, gab es nur zwei. Meine Wenigkeit und noch ein Mädel. Sie hat deutsch gesprochen, war aber slowenischer Abstammung. Ich verstand mich mit ihr recht gut. Mein Arbeitsgebiet war sehr groß, so daß ich die einzelnen Orte oft mit dem Fahrrad nicht erreichen konnte. Da hat man mir auch ein Auto zur Verfügung gestellt, weil die Eindosmaschine für das Fleisch ziemlich schwer war. Mit der Sismusglocke bin ich sehr oft mit dem Fahrrad gefahren und habe meine Kurse abge­halten. Ich kann sagen, daß ich mit allen Leuten sehr gut ausgekommen bin, auch in den Orten, wo noch sehr viele oder aus-schließlich Slowenen wohnten. Wenn sie mich nicht auf deutsch verstanden haben, versuchte ich, es ihnen mit meinem sehr mangelhaften Slowenisch beizubringen. Es gab ein gutes gegenseiti­ges Verstehen und eine gute Einvernahme. Die Rezepte ließ ich ihnen dann in deutscher und slowenischer Sprache zukommen. Ich bin heute noch sehr stolz auf meine Arbeit, die ich damals geleistet habe. Ich kam mir vor wie eine kleine Königin, so durch das ganze Land zu reisen. Man fragt sich, wieso man das alles nicht schon früher in Gottschee hat machen können.

Ich muß etwas berichtigen: ich sagte, daß damals im Ansiedlungs­gebiet drei Arten von Bauernhöfe errichtet wurden. Die Bauern­höfe wurden nicht errichtet, sondern sie wurden in drei Gruppen eingeteilt: Einser- Zweier- und Dreierhöfe.

Auf dem Wege der Vertreibung wurde ich von meinem Mann getrennt, wie viele andere Frauen von ihren Männern auch. Man hat sie auf schnellsten Wege von uns Frauen weggeholt und bei Ratschach standen schon Züge, in denen man sie verfrachtet hat. Diese Züge gingen nach Bosnien und Serbien. Erst 2 1/2 Jahre später habe ich durch das Rote Kreuz erfahren, daß mein Mann am 4. Dezember 1945 im Lager Crna Gora in der Herzegowina bei Sarajewo den Hungertod gestorben ist, mit vielen anderen Gottscheer Landsleuten. Außerdem erhielt ich noch ein Schreiben vom Roten Kreuz, wonach mir der Nachlaß per Post zugehen würde. Gemeint war wahrscheinlich die Uhr und so. Ich hab aber nichts erhalten, habe keinen Nachlaß oder Andenken bekom­men.

Bitte erzählen Sie jetzt Ihre Ankunft in Österreich.

Uns hat man dann weiter getrieben, die Ustascha, auch Tito-Anhänger waren dabei, auch Gefangene, die herausgelassen wurden. Man hat uns gleich jeglicher Habe beraubt. Den Schmuck, was wir noch hatten, den Ring vom Finger gezogen. Ich hatte noch einen Rucksack auf dem Rücken, wo das Nötigste drinnen war, ein paar Schuhe, Socken, ein bißchen Unterwäsche, ein schwarzes Kleid, das nicht fertiggenäht war, als der Bruder gefallen ist, eine Weckeruhr und meine Schlüssel von daheim.

Man sagte mir auf slowenisch, ich sollte es hergeben, aber ich wollte nicht gleich, da hat man mir den Rucksack einfach herun­tergeschnitten. Er fiel zu Boden und öffnete sich, die Uhr und die Schlüssel fielen heraus. Und noch ein Dokument über die Gastwirtschaftslehre. Ich raffte das Herausgefallene zusammen und band es in meine Dirndlschürze, die ich umhatte. Dann wur­den wir wieder weitergetrieben, ich war noch bei meinem Vater, außerdem eine 73jährige Tante und meine Schwester. Wir konn­ten kaum mehr laufen und durch das – ich will nicht sagen durch das Treiben – durch das Bitten meines Vaters, Kinder noch ein Stückchen und noch ein Stückchen, gelang es uns dann doch, das Lager in Klagenfurt zu erreichen. Als wir dort ankamen, war das Lager schon voll mit Menschen. Es war ein bombengeschädigtes Haus, vom Dach war nicht mehr viel drauf, es hat durchgeregnet und die Strohsäcke waren ganz naß. Am zweiten Tag hat es geheißen, wer zwei Stunden arbeiten geht, kriegt zwei Stück Brot extra. Da haben wir uns gemeldet, meine Schwester und ich, wir haben Räume ausgeräumt und geputzt. Wir waren ja so schwach vor Hunger und zwei Stücke Brot extra konnten unsere Rettung sein. Ich dachte, ein Reichtum in meinen Taschen zu tragen. Und als ich heimkam, da streckten uns mein Vater, die Tante und mein Onkel (ein Bruder meines Vaters) die Hände entgegen: „die Marie hat Brot.“ Und ich hab beide Stücke hingegeben und für mich nichts behalten. Und ich habs doch überlebt.

Am nächsten Tag gingen wir auf die Suche nach unserer Mutter. Bald haben wir erfahren, daß man das kleine Mädchen mit 11 Monaten in Landskron gesehen hatte und daraus konnten wir schließen, daß auch unsere Mutter noch am Leben sein muß. Wir waren kaum 4-5 km aus Klagenfurt heraus, da stand ein engli­scher Soldat und der fragte: „Wo willst Du hingehen?“ Und wir sagten, daß wir unsere Mutter suchen. Und da hat er gesagt: „Du hast Krieg verloren, zurück mit Euch!“ Da sind wir wieder zurückgekehrt, aber mein Vater sagte: „Kinder, wir geben nicht auf, wir gehen über die Berge.“ Und so gingen wir dann über die Berge, mit so einem Hunger, daß wir es kaum aushalten konnten. Und es regnete, das Wasser lief uns an den Beinen hinunter, die Sonne hats wieder getrocknet. Bei einer kinderreichen Familie haben wir eine Tasse Milch und Brot erhalten und haben unsere letzten Mark dafür gegeben. Es lag noch ein Fußweg von 4-5 Stunden vor uns, bevor wir überglücklich unsere Mutter bei Prof. Kircher in St. Andrä bei Landskron gefunden haben und sie in die Arme schließen konnten. In einem Mansardenzimmer wohnten wir dann monatelang beengt und fanden über das Arbeitsamt Arbeit. Ich kam zu einer kinderreichen Familie, die ein Lebensmittelgeschäft hatte. Es gab viel Arbeit in dem 7-köpfigen Haushalt, der Mann war krank und das kleinste Kind erst 6 Wochen alt. Um 5 Uhr stand ich schon in der Waschküche, da gabs keine Maschinen, ich hab die gesamte Wäsche von Hand gerumpelt, habe gekocht, geputzt und geschrubbt. Ich hab es gerne getan, weil ich gehofft habe, mein Willi kommt zurück.

Eines Tages haben wir uns mit Landsleuten getroffen, die mir empfahlen, mich als perfekte Köchin doch in Velden oder Pörtschach zu bewerben. Dort gebe es englische Offiziersmessen, in denen man gut verdienen könne und am freien Tag würde man ein Brot und eine Wurst extra bekommen. Zuerst habe ich mich gewehrt, weil ich Angst hatte. Ich erinnerte mich, daß der Soldat an der Straßensperre gar nicht gut zu uns war. Dann bin ich doch gegangen und hab in Velden, im Hotel Bulfon, fast drei Jahre in dieser Messe als Köchin und Mehlspeisköchin gearbeitet. Da hab ich sehr gut verdient und sie haben mir viel Mut zugeredet. Sie haben gesagt, ich sei doch ein sehr guter Koch, warum ich nicht auswandere, da käme ich eher vorwärts. Als die Offiziersmesse aufgelöst wurde, habe ich im Hotel Jasser, gleich daneben, noch ein Jahr gearbeitet. Dann haben auch die geschlossen und da bin ich nach Graz, wo meine Eltern gewohnt haben. Da hab ich 1 1/2 Jahre in einer Kleinrentnerküche gearbeitet, bis auch diese Küche schließen mußte. Anschließend habe ich noch 3 Monate in der Kuranstalt von Maria Trost gearbeitet, bis am 08. 05. 1953 mein Bruder Siegfried, gleich in seiner Mechanikerkluft kam und mir zurief: „Marie, geh heim, Dein Visum ist gekommen, Du kannst auswandern.“

Wie haben Sie dieses Visum bekommen?

Mein Vater hatte einen Bruder in Amerika und meine Mutter hatte zwei Schwestern in Kalifornien. Da frug mein Vater seinen Bruder, ob er gutstehen könnte, also für mich bürgen und für die Tochter seiner Schwester, für zwei Personen also. Der antworte­te, wenn die Kinder fleißig sind, denn in Amerika muß man arbei­ten, will er es gerne tun. Er bürgte und schickte das Affidavit und meine Kusine und ich durften einwandern. Da ich meinen Onkel früher nie gesehen habe, haben wir uns gegenseitig gesucht, als ich mit dem Schiff ankam, aber nicht gleich gefunden. Für mich waren es damals sehr viel Menschen. Und als ich dachte, dieser Herr geht genau wie mein Vater, frug ich ihn, ob er Herr Siegmund sei. Ja, sagte er, er suche Marie Wolf. Das bin ich, sagte ich. So haben wir uns dann in die Arme geschlossen.

Mir sagten einige Menschen, man brauche viel Mut, wenn man in ein fremdes Land geht und keine zwanzig mehr ist. Ich war doch schon 39 und kein Wort englisch, ein ganz schwaches Gewicht, nicht viel zum Anziehen, aber der Wille war da. Ich muß schon sagen, der Anfang war bitter. Nicht weil die Menschen nicht gut gewesen wären, die Menschen waren sehr gut. Aber was nutzt halt mein gutes Kochen, wenn ich die Sprache nicht verstehe. So mußte ich erstmal die englische Sprache schnellstens erlernen, damit ich die Bestellungen der Bedienung verstand, am heißen Ofen kochen und die Order ausgeben konnte. Nach eini­gen Monaten gings schon einigermaßen und nach einem Jahr schon viel, viel besser. Aber man braucht mindestens zwei Jahre, bis man sich halbwegs die Sprache aneignet und vier Jahre, bis man sie beherrscht und es vergehen 6 Jahre, bis man sich die Redewendungen und die Feinheiten der Sprache aneignet. Aber das Heimweh vergeht nie, So bin ich jedes Jahr nach Hause gefahren und habe dafür so manchen Tag zusätzlich gearbeitet und gespart. Man sagt ’nach Hause‘, auch wenn man keines mehr hat, aber solange die Eltern leben, ist immer noch ein Zuhause. Ich war 25 Jahre in Amerika, man hat mich sehr gern gehabt und ich bin stolz drauf. Ich war keine Minute krank, keine Minute ohne Arbeit. Und wenn sie mich oft gefragt haben, von wo ich bin, you are from Austria? da hab ich ja gesagt und stets fügten sie hinzu: You are a good girl. In Amerika lieben sie die Europäer sehr, denn wir sind immer pünktlich, gewissenhaft und sauber. Aber eines war stets mein Wunsch, ich wollte nicht in Amerika sterben. Es gibt alles in den Staaten, man kann sich alles kaufen, aber man kann sich die Luft nicht kaufen. Die Luft ist viel gesünder hier in den Alpenländern. 1975 war ein sehr heißer Sommer, da hab ich beschlossen, daß es mein letzter Sommer werden soll. Und da bin ich mit Sack und Pack heraus. Das Haus habe ich ver­kauft und meine Sachen mitgenommen, denn eine Frau liebt auch ein Möbelstück, wenn sie es jahrelang putzt und pflegt, da ist es wie ein Stück von ihr selbst, es gehört dazu. So hab ich vier Kostenvoranschläge machen lassen. Von jeder Firma kam einer ins Haus und schaute sich alles an. Die Kosten von Tür zu Tür betrugen etwa 3.000 $. Es kamen 4 Mann, die packen alles ein und dort kamen wieder 4 Mann und packen es aus. In diesen 3.000 Dollar ist alles inbegriffen. Und so hab ich, mit Stolz muß ich heute sagen, vom Besen bis zur Gießkanne, von der Matratze bis zum Teppich alles mitgenommen, auch die Nähmaschine.

Oft hört man fragen, ob es in Amerika auch eine Krankenkasse gibt, ob man Schuhe noch besohlen läßt, ob Socken noch gestopft werden. Ich habe mir gleich eine Nähmaschine gekauft. Mein Onkel war 55 Jahre Vormann in Newark, bei den Singer-Nähmaschinen und er hat gesagt, kauf Dir nur eine Singer, das sind die besten. Und diese habe ich gekauft, ich habe Schuhe besohlen lassen, ich hab auch Flecken eingesetzt, wenns nötig war. Man kauft sich einen Trockner und man macht sich seine Haare selber, wenn eine Frau ihren Mann liebt, bügelt sie seine Anzüge und Hemden selber, denn wenn man für das alles bezahlt, wenn man in Amerika nicht spart, da bleibt nicht viel übrig. Daran habe ich mich stets gehalten und heute noch, bin ich stolz darauf, in meinem Alter die englische Sprache erlernt zu haben. Für mich ist das eine Genugtuung. Ich krieg heute noch Post zu Weihnachten und alle schreiben, sie sind immer unsere Maria und sie sind zu jeder Zeit willkommen. Das ist mein Stolz. Und das war mein Leben in Amerika, 25 Jahre in Amerika. Aber das Gottscheertum und der deutsche Schlag der Gottscheer hat mich herausgezogen. Ich konnte von Amerika aus die Kultur­woche nie besuchen, weil mein Urlaub immer in eine andere Zeit gefallen ist, aber meine Gedanken waren immer dabei. Seitdem ich wieder hier bin, besuche ich die Gottscheer Woche immer. Wenn der liebe Gott noch länger Gesundheit gibt, möchte ichs tun, solange ich kann.

Frau Wolf, ich hab Sie früher gefragt, warum Sie so schnell ein Visum bekommen haben, denn man bekommt nicht so schnell ein Visum nach Amerika.

Als ich das erstemal ansuchte, das war 1946, da hieß es, die Quote sei erschöpft, niemand darf mehr einwandern. Da hab ich mir die Finger wund geschrieben, ich kam einfach nicht dran. Bis ich eines Tages mal selbst nach Salzburg zum Konsulat gefahren bin. Da war eine gewisse Frau Dr. Engel, die diese Sache bearbeite­te. Und sie sagte mir: „Sie sind nicht vorgeladen, Frau Wolf.“ Ja, sagte ich, ich hab in Erfahrung gebracht, wenn man das irgendwie mit einem Geldumschlag macht, da würde ich vielleicht drankommen. Und wie diese Frau Dr. Engel das sah, sagte sie mir gleich, ich soll hinausgehen und warten, sie wird mich rufen. Und wie ich dann hineingerufen wurde, da sah ich, wie sie einen Namen aus der Liste rausradiert und mich eingetragen hatte. Sie war nun recht freundlich und sie sagte zu mir, „Sie hören von uns.“ Und ich bin wieder nach Maria Trost gefahren. Und am 8. 5. 1953 kam mein Bruder gleich von der Arbeit und sagte: „Marie geh heim, Dein Visum ist gekommen, Du kannst auswandern!“ Sag ich: „Du spinnst ja, das gibts doch nicht.“ Und er sagte: „Doch es ist da!“ Meinem Vater wars ja gar nicht recht. Aber ich wollte unbedingt auswandern, weil ich doch für meine alten Eltern zu sorgen hatte, denn ein Bruder war gefallen, der ande­re noch in Rußland, ich war praktisch der einzige Brotverdiener. Und da wollt ich halt auswandern. Und ich muß ja wirklich sagen, daß ich nur – ich weiß nicht, wie ich es sagen soll – durch Bestechung auswandern konnte. Ich hab im Briefumschlag zwei Monatsgehalte gegeben, das waren ca. 3.000 Schilling, das war damals viel Geld. Wir hatten eh nichts, alles verloren und schwer. erarbeitetes Geld. Ich wollte mir einen Mantel kaufen, ich habe es nicht getan, ich hab das Geld für diesen Zweck genommen, damit ich auswandern konnte. Sonst wär ich vielleicht heute noch da.

Ich kam am 16. Oktober 1975 von Amerika wieder zurück, als Rückwandrerin. Ich habe mich in Ellhofen, Allgäu, niedergelassen, weil ich da eine Schwester hatte, die mit ihrem Mann ein Restaurant und Metzgerei besaß. Sie besorgte mir eine Wohnung, die ich herrichten ließ und ziemlich viel Geld reinsteckte. Aber leider hatte ich kein Glück, die Wohnung war zu feucht. So mußte ich wieder umziehen und habe mir eine Wohnung in Heimenkirch, auch im Allgäu, eine halbe Stunde entfernt, eingerichtet. Auch diese Wohnung war sehr feucht. Mein Rheumatismus hat sich so verschlechtert, daß ich an zwei Stöcken laufen mußte. Da haben weder Massagen noch Injektionen geholfen. Der Doktor empfahl mir schließlich, doch weiter nach Süden, nach Österreich zu ziehen. So siedelte ich am 11. Juli 1978 wieder um nach Oster­reich, wo ich bis zum heutigen Tage noch bin. Also nach Tirol, in Radfeld bei Kramsach. Und da hab ich mir eine nette Wohnung eingerichtet, aber ich möchte meine Hände noch nicht in den Schoß legen. Ich gehe jede Woche zweimal nach Kramsach ins Altenheim und backe für die alten Leute etwas. Und das macht mir Freude. Und wo ich nur kann, besuche ich Kranke und seit April freue ich mich auf die Kulturwoche, an der ich auch in Zukunft noch gerne teilnehmen möchte.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994