aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Mit drei Kleinkindern zwei Monate zu Fuß auf der Flucht

von Emma Asbek, geb. Perz
Tiefenreuter / Altlag
Freising bei München

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Ich bin in Tiefenreuther geboren und als ich 8 Jahre alt wurde,sind meine Eltern nach Altlag gezogen, dem Geburtsort meiner Mutter. Wir hatten in Tiefenreuther eine kleine Bauernwirtschaft und mein Vater hat als Schmied gearbeitet, auch sein Vater, mein Großvater schon, Mein Vater war Franz Perz und die Mutter Paula Perz, geborene Samide. In Altlag bin ich weiter in die Volksschule gegangen und mein Vater hat auch dort wieder eine Werkstatt betrieben, Schmiederei und Werkzeugmacher, und da waren wir dann die ganze Zeit bis zur Umsiedlung.

Zwischenfrage: Wissen Sie vielleicht zufällig auch einen Bürgermelster aus dieser Zeit?

Bürgermeister war der Johann Samide. Aber ob es einen anderen auch noch gegeben hat? Ich kann mich nur an den erinnern.

Josef Eisenzopf war auch.

Das kann sein, das kann sein. Ja, das war der Schwager von meiner Mutter.

Ein Schwager Ihrer Mutter?

Moment, ja. Meiner Mutter Bruder hat ja die Berta Eisenzopf geheiratet. Da ist er Schwager gewesen, denn er war der Bruder von der Berta. Aber ob der Bürgermeister war, kann ich mich gar nicht erinnern.

Ein Josef Eisenzopf war Bürgermeister, er war auch Postmeister in Altlag.

Ja stimmt, genau.

Ja und wie war das Verhältnis jetzt zur Berta Eisenzopf?

Ja, das war die Frau von meinem Onkel, vom Bruder meiner Mutter. Der hat die Berta Eisenzopf geheiratet und die lebt heute noch in St. Andrä.

Wir waren neun Geschwister, sechs Mädchen und drei Brüder, zwei sind klein gestorben. Wir sind alle in Altlag aufgewachsen, alle nur Volksschule gehabt. Meine Brüder haben beim Vater das Schmiedehandwerk gelernt. Mein Vater war ein guter Hand­werker und war sehr bekannt. Er hat sogar Bohrer gemacht. Ich glaub, das war sogar seine Erfindung. Im Winter, wenn weniger andere Arbeit war, da hat er Bohrer hergestellt und ist damit auch ein bißchen auf die Dörfer hausieren gegangen. So hat er auch im Winter ein bißchen Geld heimgebracht. Im Sommer war dafür weniger Zeit, da gab es Arbeit genug, die Bauern brachten Geräte zum Reparieren und Pferde verloren die Hufeisen. Die Brüder haben bei ihm gelernt. Mein ältester, der heißt Vinzenz, ist jetzt in Amerika und mittlerweile auch schon in Rente. Der ist, glaub ich, schon 1952 nach Amerika, gleich nach dem Krieg mit seiner Frau und einem Kind. Ein anderer Bruder, der ist in Kapfenberg, der hat ein Lebensmittelgeschäft, einen Selbstbe­dienungsladen gehabt, seit dem Januar ist auch er in Rente. Die andere Schwester hat in Lorenzen eine Gärtnerei, im Mürztal, ja. Eine Schwester habe ich in Coburg, die ist Operationsschwester und eine ist in England verheiratet, die hat zwei Kinder. Jedes der verheirateten Geschwister hat zwei Kinder. Die jüngste Schwester, die Krankenschwester hat nicht geheiratet und ich hab auch keine eigenen Kinder, ich hab nur ein angeheiratetes.

Und allen geht es gut?

Bis jetzt, Gottseidank, ja. Gesund sind sie soweit, allen geht es gut, naja.

Wie haben sich die in Amerika gemacht? Der Bruder?

Ja, der hat sich ein Haus gekauft, ein Vier-Familien-Haus. Drei Wohnungen vermietet er und eine bewohnt er selber. Er hat auch zwei Mädchen, die mittlerweile schon verheiratet sind.

Kommt er öfters herüber?

Nein, war nur zweimal in all den Jahren da. Ich war voriges Jahr mit meinem Mann drüben und hab mir alles so angeschaut, in Ridgewood.

Und jetzt zur Umsiedlung.

Ja, von Gottschee sind wir nach Tschatesch bei Rann umgesie­delt worden, aber da konnten meine Eltern nicht lange bleiben. Sie mußten wieder raus aus dem Haus, da sollte die Familie Samide einziehen. Das war kein Verwandter von uns. Ja und da sind meine Eltern dann nach Ober-Piroschitz umgesetzt worden. Das war ganz an der Grenze und meine Eltern haben viel Angst

Vor Partisanen-Überfällen gehabt. Die kamen auch oft bei der Nacht, es war ganz schlimm. Die haben das ganze Jahr, kann man sagen, nicht zu Hause geschlafen. Abends haben sie ihr Binkerl unterm Arm genommen und sind rübergewandert nach Zirkle, da wars ein bißchen sicherer und in der Früh wieder heim zum Arbeiten und so bis zur Flucht. Ich bin aber schon im Jahre 1942 – bald nach der Umsiedlung – nach München, und fand bei der Familie Dr. Hansen Anstellung. Er war beim Bormann angestellt, war sein Stellvertreter, aber er hat ihm nicht mehr so recht gepaßt und er hat ihn dann hinausgeworfen, der Bormann den Dr. Hansen. Ja, dann mußten wir auch aus der Bormann-Siedlung raus, und zogen für ein halbes Jahr nach München. Mittlerweile hat der Dr. Hansen in Berlin ein Haus gefunden, und wir zogen nach Berlin um. Dieses Haus wurde dann bombardiert, uns ist jedoch nichts geschehen, weil wir an diesem Tag grad nicht in der Wohnung waren. Ich bin dann heim zu meinen Eltern, bis die wieder eine Bleibe gefunden hatten und hab das genau so mitgemacht: jeden Abend weg zum Schlafen und morgens wieder heim. Ich bin dann wieder zurück nach Sonnenburg bei Küstrin, das ist in der Nähe von Berlin – wieder zur Familie Hansen. Da waren wir bloß ein Jahr, bis 1945, dann mußten wir wieder weg. Eines Nachts hats geheißen „Russen kommen!“, da haben wir uns schnell angezogen und um Mitternacht zogen wir los: in Berlin am Bahnhof und so weiter hats überall noch Rotkreuzschwestern gegeben, die geholfen haben. Wir sind dann nach Plauerhof bei Brandenburg, Brandenburg bei Berlin. Der Dr. Hansen der warmittlerweile Generalstaatsanwalt, und da waren immer so Beamtenwohnungen. Da sind wir dann vom Januar bis 27. April gewesen, dann aber wieder schnell weg. Mittlerweile waren drei Kinder da, das Kleinste sechs Wochen alt, als wir weg sind. Vonihrem Mann hat Frau Hansen dann nichts mehr gehört.

Er wurde verschleppt?

Ja sie hat nie mehr richtig was gehört. Nur einmal hat irgendein Amerikaner gesagt, daß er in Erfahrung gebracht hätte, daß die Russen den Dr. Hansen zusammengeschlagen aus dem Kammer­gericht getragen hätten. Aber ob das wahr oder nicht wahr war, das hat sie auch nie erfahren. Ja, und wir sind dann so etappen­weise von Brandenburg nach München mit den drei Kindern gezogen. Hat ziemlich lange gedauert, von 27. April bis 14. Juni haben wir gebraucht. Als wir an die Elbe kamen, waren die Brücken schon gesprengt. Da haben wir tagelang davor geses­sen, ja wie kommen wir rüber? Manche sind schon irgendwie geklettert, aber mit drei Kindern kann man das nicht wagen. Eines Abends saßen wir so ganz verzweifelt da, die Windeln für das kleine sechs Wochen alte Baby hatten wir gerade in der Elbe gewaschen, da kam ein Leutnant aus Essen. Der schaute in Kinderwagen und sagte: „Ach dich könn ma ja auch nicht da lassen. Macht euch ein bißchen von der Menschenmenge frei, ich komm heut Abend mit einen kleinen Boot“ und das hat er eingehalten, tatsächlich. Den Kinderwagen, die anderen zwei Kinder und uns zwei Frauen hat er übergesetzt über die Elbe. Es war neun Uhr abends, als wir drüben waren, und da wollten wir ins Dorf, wie es geheißen hat, weiß ich jetzt nimmer. Da stand eine Wache, die hat nach neun Uhr niemanden ins Dorf gelassen. Wir hatten großen Durst und die Kinder hätten was gebraucht und so.  Es stand englische Wache da, die haben uns nicht reingelassen. Na ja, wir haben uns hingesetzt und uns gefragt, was nun zu machen sei. Herüben sind wir ja nun wenigstens. Und da haben wir gesehen, daß die Wache wechselt. Da haben wir es bei der nächsten wieder versucht und die haben uns ohne weiteres ins Dorf gelassen. Na ja, da waren wir herüben über der Elbe, da haben wir noch die Nacht auf Stroh in der Scheune geschlafen, wunderbar, wir haben ein Dach über dem Kopf gehabt, und so sind wir dann schön langsam immer weiter runtergekommen nach München.

Die Mutter von Frau Hansen hat in München gewohnt, aber wir haben nicht gewußt, ob sie ihre Wohnung behalten hat, oder sie auch ausgebombt worden ist. Zum Glück war sie noch. Da sind wir dann ein paar Tage untergekommen. Die anderen wohnen heut noch in der Wohnung. Ich hab gemeint, jetzt geh ich einmal nach Coburg, denn bei der Familie Hansen konnt ich ja nimmer bleiben, die haben ja selber nichts gehabt. Die Wohnung war so klein, bloß Zweieinhalb-Zimmer, da hab ich gedacht, jetzt versuch es einmal und fahr nach Coburg zu meiner Schwester.

Wenigstens daß wir zwei beinand sind, aber man bekam damals nicht so leicht eine Zuzugsgenehmigung und Essensmarken und so weiter. Beides gelang mir nicht. Deshalb blieb ich nur acht Tage bei meiner Schwester und bin wieder zurück nach München.

Da konnt ich bleiben, weil wir vor dem 14. Juni gekommen sind, vor dem Stichtag. Wie es damals geheißen hat, wer vorher gekommen ist, der darf da bleiben. Und da hab ich mir in München Arbeit gesucht und bin in eine Kantine gekommen, wo ich drei Jahre gekocht habe, bis sie die Kantine geschlossen haben. Mein Zimmer habe ich zu dieser Zeit auch verloren, weil die Frau, bei der ich gewohnt habe, geheiratet hat. Ich war ganz verzweifelt und hab gedacht, was nützt die Arbeit, wenn du kein Zimmer hast! Und da hat mir Frau Hansen, bei der ich früher war, gesagt „Du schau einmal, da wär eine nette Familie, geh doch einmal hin, wenigstens so lange, bis Du ein richtiges Zimmer hast. Dort hat es mir eigentlich im Moment nicht so gut gefallen, aber ich dachte, na ja, solange bis ich ein Zimmer hab, bleib ich. Mittlerweile kam das erste Kind und ich hab kleine Kinder gern, kann auch gut umgehen damit.

Welches erste Kind? 

Da bei der Familie Müller. Da bin ich dann hängengeblieben, es waren sehr nette Leute, ich habe heute noch guten Kontakt. Die kommen heut noch zu mir, wenn ich Geburtstag hab, so bestimmte, den 55. oder 60. oder so, sind sie auch wieder gekommen und auch Frau Hansen. Die kommt öfters, auch wenn kein Anlaß dazu ist.

Und da blieben Sie bei Müller wie lange?

21 Jahre! Ich war, sagen wir, Wirtschafterin. Die Frau war noch sehr jung, sie war froh, daß sie mich gehabt hat, denn sie hat selber noch nicht so viel verstanden vom Haushalt und mit Kindern kann ich auch gut umgehen, nicht. Ich hab eine sehr nette Familie gehabt und war sehr zufrieden dort. Die haben dann in Tutzing ein sehr schönes Haus gebaut, mit Garten direkt am Starnberger See. Ich wollte raus, die Kinder waren inzwischen schon erwachsen und da hab ich meinen Mann kennengelernt. Er war Witwer, sein Sohn war damals erst 16 Jahre alt und ging noch in die Schule und er zur Arbeit. Der Sohn immer allein daheim. Ja, es war damals für alle nicht leicht. Da bin ich nach Freising und hab meinen Mann geheiratet. Ich bereue es nicht, es geht mir auch jetzt gut. Ich bin zufriedener, weil ich mir denk, jetzt arbeitest du für dich selbst, das heißt für deine Familie.

Und augenblicklich sind Sie …?

bin ich in Krastowitz bei den Gottscheern.

Und wie oft waren Sie schon hier?

Ich bin das sechste Mal hier, wenn ich mich nicht verrechnet hab. Treue Gottscheerin, ja.

Waren Sie in Graz auch schon, in Maria Trost?

Ja, da waren wir vergangenen Sonntag.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel
Heft 4 und 5

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994