aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Nur der Baum vor dem Gasthof stand noch

von Mag. Pia Michitsch,
Großvater war aus Gottschee
Wien

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Mein Großvater war Gottscheer, der im Alter von 14 Jahren Gottschee verlassen hat. Er hat in Triest und in der Tsche­choslowakei gearbeitet und landete schließlich in Wien.

Mein Vater ist schon in Wien geboren. Mein Vater hat eigentlich nur die Verbindungen zu Gottscheern aufrecht erhalten, die schon vor Großvater hier waren. Er war Mitglied des Gottscheer Vereines, er hat die Zeitung bezogen und er hat mit allen Verwandten in Übersee korrespondiert. Später hat die Groß­mutter, die aus Mährisch-Ostrau stammt, die Verbindung weiter geführt und mein Vater hat nach dem Tod der Großmutter die Verbindung sozusagen geerbt. Wir haben also zu den Gottscheer Verwandten in Amerika immer schriftliche Beziehung gehabt, allerdings nicht allzu häufig im Jahr und seit 1956 kamen immer wieder Verwandte auf Besuch, so daß zunächst die Gottscheer für mich eine Familienangelegenheit waren. Dann hat mich das irgendwie beeindruckt, daß ich von so einem Völkchen abstam­me, das doch einen etwas eigenartigen Weg genommen hat und zwar war mir von den Erzählungen her nur die Umsiedlung und der Hitler ein Begriff. Ich hab irgendwo Mitleid mit ihnen gehabt und mich von daher aber gar nicht sehr interessiert. Die Verwandten waren sehr nett und ich hab sie eigentlich recht lieb gewonnen, so daß von da eine weitere Beziehung war. Und dann hat noch etwas eine Rolle gespielt. In der Pubertät will man ja etwas Außergewöhnliches sein, um sich aus der Masse der Jugendlichen hervorzuheben und kein Mensch kannte die Gottscheer, und die wenigsten konnten ihren eigenen Namen erklären, und ich konnte ihn immer erklären. Nicht einmal die Lehrer haben gewußt, was die Gottschee ist, da hab ich endlich einmal etwas gehabt, womit ich auftrumpfen konnte.

Wir wollten eigentlich schon in den 60er Jahren nach Gottschee fahren, Das war damals aber kaum möglich und mein Vater hat über Gottschee immer nur zwei Sachen gesagt: es war furchtbar heiß und die Leute sind sehr arm gewesen. Meine Mutter hat die Gottscheer Zeitung gelesen, weil der Vater sie abonniert hatte und sie hat dann im Laufe der Jahre durchgesetzt, daß wir zur Gottscheer Woche gefahren sind. Und zwar deswegen, weil ihr das Programm so gut gefallen hat. Außerdem hat sie schon immer eine Beziehung zu Kärnten gehabt, denn eine ihrer Jugendfreun­dinnen war eine Kärntnerin und sie hat ihre ersten Urlaube im Krieg in Kärnten verbracht, von daher erschien ihr die Aussicht, wiederum in Kärnten zu sein, verlockend.

Sie hat dann zwischen 1968 und 1972 durchgesetzt, daß wir doch einmal zur Kulturwoche gefahren sind, und zwar fuhr damals die ganze Familie. Dabei haben mich am meisten die Vorträge beein­druckt. Ich hab also bei den Kulturwochen Frau Prof. Hornung zur Mundart sprechen gehört, Herrn Prof. Wolfram, dann noch die Brüder Tschinkel, die jetzt schon beide tot sind. Und die haben mich wirklich beeindruckt. Und zwar von der Wissenschaft her. Ich hab an sich keine Beziehung zum Bäuerlichen, aber sie haben es auf der wissenschaftlichen Ebene gebracht, die ich von der Universität her gewohnt war, dadurch habe ich es ernster genommen.

Wir haben dann auch gleich den ersten Gottschee-Ausflug gemacht und da haben wir unser Vorurteil revidieren müssen, es war nämlich sehr kalt da oben. Mein erster Eindruck von Gottschee war eigentlich schlecht. Und zwar deswegen, weil ich bis dahin noch nicht in einem Ostblockland war und ich war daher nicht gewöhnt, heruntergekommene Gebiete zu sehen. Ich hab auch noch gar keine weiten Reisen gemacht, ich hab also ständig das Land Gottschee mit Kärnten verglichen, und festge­stellt, daß die Hausgärten verwildert sind, daß z. B. in Nesseltal jedes zweite Haus baufällig war, daß nicht einmal der Hauptplatz gepflegt war, der war weder gepflastert noch waren die Häuser in Ordnung, die Fensterläden waren nicht gestrichen, die Dächer waren kaputt und die Zäune sind auch nur gestanden, weil sie nicht gewußt haben, in welche Richtung sie fallen sollen. Das war eigentlich ein sehr trister Eindruck und ich hab mir gedacht, das ist eine ziemliche Unverschämtheit von denen, die da drinnen sit­zen, denn die haben ja geordnete Wirtschaften übernommen. Und wenn man eine ordentliche Wirtschaft führt, dann muß man sie doch zumindestens auf dem gleichen Niveau weiter führen. Man muß sie nicht unbedingt auf ein höheres Niveau bringen. Ich seh ja ein, daß der Boden karg ist, aber es muß ja nicht so lieb-los verlottert sein.

Das nächste, was mich beeindruckt hat, waren die verlassenen Dörfer. Und zwar jene Dörfer, wo man eigentlich nur mehr die Obstbäume gesehen hat und da und dort hat so ein Mäuerl grad noch aus der Erde geragt. Da mußten wir manchmal stehen blei­ben, weil irgendwer ausgestiegen ist, um den Platz seines Vaterhauses zu fotografieren. Oder irgendein Gasthaus, das allen ein Begriff war, war nicht mehr da, sondern nur mehr ein Baum, der einst stand beim Gasthof.

Wir haben dann noch ein zweites Mal einen Ausflug in die Gottschee gemacht. Da sie aber immer die gleiche Route gefah­ren sind, sind wir später nicht mehr mitgefahren, wir haben uns gesagt, die paar Dörfer kennen wir. Ich muß aber eines sagen, es hat sich vom ersten zum zweiten Ausflug, es war ein Jahr dazwi­schen, schon einiges verbessert. Durch die Fremdarbeiter scheint ja doch etwas Geld hereingekommen zu sein, damit haben sie schon aufgebaut. Seither war ich nicht mehr unten. Gut, wir haben kein Auto, dadurch fallen diese Fahrten ja weg. Wir haben dann einige Jahre die Gottscheer-Wochen besucht. Es waren auch amerikanische Verwandte da, die mit uns gemeinsam hin-unterfahren wollten, aber der Onkel hat sich dagegen gewehrt. Er ist in Gottschee geboren und hat auch dort die Schulen besucht und wollte um nichts in der Welt hinunterfahren. Das konnt ich nicht ganz verstehen; er hat auch nicht genau erklärt, warum nicht.

Ja, wir haben einige Jahre die Gottscheer Woche besucht, wobei mich die wissenschaftlichen Vorträge beeindruckt haben, dann hat mich das Museum in Spittal an der Drau beeindruckt. Man ist so viele Museen gewöhnt, wie den Louvre und ähnliches mehr und dann denkt man sich, so ein harmloses kleines Völkchen hat auch ein Museum. Allerdings muß ich sagen, dieses Museum dort ist zum Teil ja auf Erinnerung abgestimmt. Also, da sind Leute dann gegangen und haben gesagt: „Das ist der Dreschflegel vom Vater, das ist die Sense vom Onkel“. Mir haben eigentlich am besten die Stickereien gefallen. Die Fotografien waren für mich ja relativ wenig aussagekräftig, weil ich die Dörfer nicht gekannt habe und auch die Leute nicht.

Ja, ich hab dann eigentlich nicht allzuviel über die Gottscheer gelesen, es hat sich mehr oder minder auf die Besuche in Krastowitz beschränkt. Vor zwei Jahren waren mein Vater und mein Bruder wieder da. Und heuer bin ich da, weil’s die 650 Jahrfeier ist und weil mein Vater inzwischen im Gottscheerverein Kulturreferent geworden ist und daher fahren sollte, und natür­lich auch wieder wegen der Vorträge. Ich hab mir also das Buch vom Wolfram gekauft und bin grad dabei, es zu lesen und das gefällt mir, die rein wissenschaftliche Bearbeitung.

Vom Gottscheer-Verein sprachen Sie, ist das der Gottscheer Ver­ein in Wien?

Ja. Mein Vater ist immer noch dort Mitglied und ist so zwei-, dreimal im Jahr zu den Abenden gegangen und dann wurde er plötz­lich zum Kulturreferenten erhoben, hat sich da recht bemüht, bei dem einen Ausflug, den hat er recht gut gestaltet und hat gesagt, jetzt als Kulturreferent fühlt er sich doppelt verpflichtet zu kom­men. Dann find ich, ist diese 650 Jahrfeier, die 700 Jahrfeier werden wir ja nicht mehr haben, mein ich, die letzte große Feier, die wollt ich auch nicht versäumen. Ja, beeindruckt hat mich zum Beispiel auch, daß bei den Gottesdiensten ein Meßkleid getragen wurde, das noch in Gottschee gestickt worden ist, also auch hier so eine gegenständliche Verbindung. Natürlich gefällts einem, daß hier die Gottscheer Fahne aufgezogen ist, die Tracht beein­druckt mich auch, sie ist ja wirklich altertümlich und schön. Zur Sprache selber hab ich keine Beziehung, weil Mundartkunde mir nie gelegen hat und ich das ganze alte Fach im Studium mehr mit der linken Hand betrieben habe. Aber mich interessiert die Kulturgeschichte.

Mich verbindet jetzt etwas mit Gottschee, das man gar nicht so leicht formulieren kann, weil man viel zu leicht ins Klischee abgleitet. Gottschee ist eigentlich die einzige Herkunft, die mir bewußt ist. Die anderen Herkunftszweige, einer aus Galizien und der andere aus Niederösterreich, ist mir wohl bekannt, aber ich habe dazu keine Beziehung. Die Gottschee ist für mich historisch bewußt. Ich weiß etwas über sie, bin mir dessen bewußt, daß ich von diesem Menschenschlag, von dieser Gruppe abstamme. Ohne daß ich das ganze jetzt allzu groß gesagt haben möchte. Mir hat an den Gottscheern immer gefallen, daß sie nicht nur Bauern waren. Bevor ich also von den Gottscheer Bauern gehört habe, wußte ich immer nur, daß ein richtiger Bauer von seiner Scholle nicht weg geht. Die Gottscheer dagegen waren ja Bauern, die gleichzeitig Hausierer und Händler waren, also Kaufleute waren. Sie haben sich also nicht damit begnügt, was sie aus dem Land herausgewirtschaftet haben, sondern sie haben versucht, den Mangel wettzumachen durch eine andere Wirtschaftsform, und das ist ungewöhnlich bei Bauern. Sie waren schon von vornherein weltumspannend, wenn man denkt, daß sie seit dem 15. Jahrhundert zuerst in den österreichischen Erblanden und dann bis nach Rußland gekommen sind.

An der Gottscheer Kulturwoche habe ich schon 5 oder 6 mal teilgenommen. Die Gottscheer Gedenkstätte in Graz kenne ich, ich war dort einmal bei einem Ausflug in Maria Trost, sie war damals zugesperrt, wir haben sie nur von außen angeschaut und foto­grafiert. Aber eigentlich weiß ich von den Gottscheern in Graz wenig.

Mein Name ist Pia Michitsch, ich wurde 1950 in Wien geboren, als älteste von drei Kindern. Mein Vater wurde 1912 in Wien geboren, er hat in Wien die Mittelschule besucht und immer in Wien gearbeitet. Der Gottscheer in der Familie ist der Vater mei­nes Vaters, dieser ist im Alter von 14 Jahren aus der Gottschee ausgewandert, zunächst hat er in verschiedenen Teilen der Monarchie gearbeitet und landete schließlich in Wien. Ich selber habe einen ganz normalen Schulverlauf genommen, es hat mich schon sehr früh die Geschichte interessiert, ebenso die Kultur­geschichte und die verschiedenen Erscheinungsformen des Lebens. Ich hab dann angefangen Germanistik und Latein zu stu­dieren und unterrichte nun bereits seit 5 Jahren Latein an Mittelschulen. Derzeit unterrichte ich Deutsch und Latein am Bundesgymnasium 8, Albertgasse 18-22. Meine Interessenge­biete sind Literatur, Geschichte und Kulturgeschichte, dazu noch die bildende Kunst, obwohl ich selber weder zeichne noch male und die Gottschee hat in all dem einen schwer zu bestimmenden, weil gefühlsbestimmten Platz. Ich empfinde es schon als eine gewisse Bereicherung, wenn ich mich mit dieser Volksgruppe und mit diesen Menschen, von denen ich eben herkomme und deren Leistungen mich beeindrucken, beschäftige.

Meine Großmutter väterlicherseits stammt aus Troppau, heute heißt die Stadt Opava. Meine Mutter stammt aus Niederösterreich und zwar aus dem Raum Hollabrunn. Die Beschäftigung mit der Gottschee ist für mich wichtig, weil ich dadurch das Wissen um die eigene Geschichtlichkeit gewonnen habe. Ich habe erkannt, daß ich Teil an einem Volk habe, das durch geschichtliche Ereignisse überhaupt erst geworden ist, das in der Geschichte gehandelt und gelitten hat und das ohne eigenes Verschulden durch geschichtliche Ereignisse zerstört worden ist.

Frau Magister Michitsch, ich danke Ihnen für diesen Bericht.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994