Hermann Leustik
Dieser Artikel wurde für das Programmheft der Gottscheer Kulturwoche 2016 verfasst.
Hermann Leustik
Dieser Artikel wurde für das Programmheft der Gottscheer Kulturwoche 2016 verfasst.
Das Gottscheerland, eine deutsche Sprachinsel in Slowenien, 60 km südöstlich von Laibach/Ljubljana gelegen, wurde um das Jahr 1300 besiedelt und bestand über 600 Jahre – bis zum Winter 1941/1942. Zu diesem Zeitpunkt wurden alle Gottscheer aufgrund eines Vertrages zwischen den damaligen Machthabern Hitler und Mussolini in die Untersteiermark umgesiedelt, von wo sie bereits einige Jahre später, nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945) nach Österreich flüchten mussten.
Als Motto für die diesjährige Gottscheer Kulturwoche wurde „Schicksal der Gottscheer – Damals und heute“ gewählt, denn für den Zeitraum des 600jährigen Bestehens des Gottscheerlandes und auch für die Zeit danach, kann alleine mit dem Wort „Schicksal“ das Leben der Gottscheer in vielfältiger Weise beschrieben werden. Denn Schicksale prägten das harte Leben der Gottscheer.
Bereits die Geburtsstunde des Gottscheerlandes ist der Beginn von vermutlich vielen Schicksalen. Ein Schicksal war es bereits für viele Oberkärntner und Osttiroler Familien, daß ihnen vom Grafen von Ortenburg das Angebot gemacht wurde, in das Gebiet um die heutige Stadt Kočevje (früher Gottschee) zu ziehen, um dort ein neues und vielleicht besseres Leben zu beginnen. Die Grafen von Ortenburg – heute ist von ihrer einstigen Burg bei Spittal/Drau nur mehr eine Ruine übrig – hatten dieses Gebiet vom Patriarchen von Aquileia als Lehen erhalten. Die ausgewanderten Oberkärntner und Osttiroler Männer, Frauen und Kinder standen vor der Aufgabe, dieses Gebiet – zur damaligen Zeit Urwald – zu roden, zu bewirtschaften, das eigene Leben damit zu unterhalten und den Grafen zusätzliches Einkommen zu verschaffen.
Die älteste urkundliche Erwähnung der Ortenburg stammt aus dem Jahr 1136. Einst war sie Mittelpunkt der mächtigen Kärntner Grafschaft der Ortenburger.
Foto: Stud. Künstel
Aufgenommen während der Filmaufnahmen für
„Gottscheabar Lont – Das verloren Kulturerbe“ – Mai 2014
Den meisten Besiedlern war aber sicher nicht bewußt, was sie dort erwartete. Es war keine leichte Aufgabe, diesen neuen Landstrich der Natur abzugewinnen und zu kultivieren. Viele dieser Menschen haben die ersten Jahre wahrscheinlich nicht überlebt, Krankheit, Hunger, Unfälle und weitere Schicksale haben dem Leben dieser Leute sicher stark zugesetzt. Viele haben diesen hohen Anforderungen aber getrotzt, sie rodeten, pflanzten und ernteten.
Bereits 1339 wurde urkundlich erwähnt, dass es in Mooswald eine Kirche und somit auch eine Siedlung gab. Bereits 1363 werden Kirchen in Gottschee und Göttenitz erwähnt und bekunden, dass die Besiedlung des 860 km² großen Gebietes der ehemaligen Sprachinsel zügig voranging.
Doch bereits 1469 war der Beginn von vielen Schicksalsschlägen: die Türken fielen das erste Mal in Gottschee ein und zerstörten den Markt. Bis zum Jahre 1584 wurde das Gottscheerland von den Türken in neun weiteren Angriffswellen immer wieder geplündert, zerstört und viele der Bewohner wurden getötet, aber auch verschleppt. Die fleißigen Gottscheer haben aber den Osmanen getrotzt und das Land immer wieder aufgebaut.
Am 23. Oktober 1492 meinte es das Schicksal gut mit den Gottscheern. Friedrich III. erließ das Hausierpatent, das den durch die Türkeneinfälle verarmten Gottscheern eine neue Einnahmequelle erschloss. Diese Berechtigung zum Wanderhandel wurde 20mal erneuert, zuletzt 1841.
Die Originalurkunde des Kaisers Friedrich III. aus dem Jahr 1471 wurde im Jahr 1596 bei einem Brand im Archiv durch Feuer vernichtet. Der Wortlaut der Urkunde wurde von ihm anläßlich der Bestätigung der Stadtrechte im Privilegienbuch vom 27. Juni 1642 erneuert (liegt im Regionalmuseum von Gottschee auf).
Foto: Pokrajinski muzej Kočevje
Ein weiteres Schicksal war, dass 1515 in Gottschee die Bauernaufstände ausbrachen, die sich dann auch auf Kärnten und die Steiermark ausbreiteten. Aufgrund der Willkür der adeligen Besitzer des Gottscheerlandes erhoben sich die Bauern, der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen.
Weitere Schicksalsschläge trafen die Gottscheer in den Jahren 1578, 1600, 1601. Zu diesen Zeiten wütete die Pest im Gottscheerland, wie auch in vielen anderen Gebieten und raffte viele Gottscheer dahin.
Im Jahre 1684, wie bereits auch im Jahre 1547, brannte die ganze Stadt Gottschee nieder. Von der Kirche blieb nur mehr der Hauptaltar erhalten. Viele der verarmten Einwohner wanderten aufgrund der entstandenen Not in einem Treck am 18. Mai 1685 zurück nach Österreich.
Mit viel Leid verbunden war auch die Franzosenzeit von 1809 bis 1815, denn die Franzosen unterjochten das Gottscheerland. Schon im Jahr 1809 überfielen Gottscheer die Besatzer, der Aufstand wurde aber niedergeschlagen, das Ergebnis war die Plünderung der Stadt Gottschee vom 16. bis 18. Oktober 1809, die Stadt wurde auch teilweise niedergebrannt. Einige „Aufrührer“ wurden standrechtlich erschossen.
Das Schicksal wollte es auch, daß ab Mitte des 19. Jahrhunderts, auf Grund der großen Not im Gottscheerland, sehr viele Bewohner auswanderten und sich eine neue Heimat suchten. Die meisten der Auswanderer zog es nach Amerika, wo sie in der aufstrebenden Industrie, aber auch in der Holz- und Landwirtschaft Arbeit fanden. Einige zog es nach zwei oder drei Jahren aber wieder zurück in die Heimat.
Die Abwanderung war groß, so gab es im Gottscheerland um 1880 noch 28.000 Einwohner, in der Zwischenkriegszeit waren es nur mehr ca. 14.000. Wie viele Schicksale es in diesem Zusammenhang gegeben hat, kann man sich kaum vorstellen, für viele der Gottscheer war es sicher nicht leicht, der Heimat den Rücken gekehrt zu haben, so fern der Heimat zu sein. Aufgrund dieser Auswanderungswellen gab es um 1900 in Gottschee bereits viele aufgelassene Häuser, aber auch ganz verlassene Ortschaften.
Die Stadt Gottschee im Jahre 1903
Der nächste massive Schicksalsschlag, der das Gottscheerland und deren Bewohner treffen sollte, begann aber mit dem Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen politischen Veränderungen. 1919 kam es zu einer Neuordnung von Europa. Gottschee, bis zu diesem Zeitpunkt ein Teil des Habsburgerreiches, wird dem Königreich Jugoslawien zugeordnet.
Die Amtssprache wird slowenisch, alles Gottscheerische bzw. Deutsche wird verboten. Es werden alle Gottscheer Vereine aufgelöst, deutsche Büchereien zugesperrt, das Singen von deutschen Liedern verboten u. v. a. m. Ein besonderer Eingriff in die Gottscheer Kultur fand im Bildungsbereich statt. Die deutschen Klassen in Gottscheer Schulen wurden eingeschränkt bzw. sie wurden geschlossen, alle deutschsprachigen Lehrer wurden entlassen.
Ebenso ging es den übrigen deutschsprachigen Beamten, sie wurden ebenso entlassen und an deren Stelle Slowenen eingestellt. Diese Gottscheer mussten sich im benachbarten Kärnten oder in der Steiermark eine neue Arbeit suchen.
Der am 4. Jänner 1904 gegründete „Gottscheer Bote“, die Zeitung der Gottscheer, wurde mit 6. Juni 1919 von den Behörden des Königreiches SHS eingestellt. Eine Fügung wollte es aber, daß diese Zeitung unter neuem Namen mit 1. August 1919 als „Gottscheer Zeitung“ bis zur Umsiedlung 1941 weiterbestehen sollte. Während des Krieges, der Jahre in der Untersteiermark und nach dem Neubeginn gab es keine „Gottscheer Zeitung“. Erfreulicherweise wurde sie aber im Jahr 1955 von Gottscheer Funktionären der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt wiederbegründet. Sie wird seit diesem Zeitpunkt Monat für Monat (seit einigen Jahren gibt es zwei Ausgaben als Doppelnummer) aufgelegt. Das Heimatblatt ist zu einem der wichtigsten Bindeglieder der Gottscheer geworden, denn es wird in 16 Staaten auf der ganzen Welt versandt, trägt viel zur Erhaltung der Gottscheer Kultur bei und wird ihrem Motto „Mit der Heimat im Herzen über Land und Meer verbunden“ voll gerecht.
Der größte Schicksalsschlag für die Gottscheer Landsleute ereignete sich aber im Winter 1941/1942. Auf Grund eines Abkommens zwischen Hitler und Mussolini wurde des Gottscheerland Italien zugeordnet.
Familie Gliebe aus Neulag 1941 bei der Ausweisstelle in Gottschee für die Umsiedlung (Vater Mathias mit seiner Frau Maria, seiner Tochter Maria, später verheiratet mit Eduard Leustik, und den Söhnen Josef und Gottfried)
Foto: Bundesarchiv Koblenz
Teil des Abkommens war auch, daß die Gottscheer Bevölkerung in das Ranner Dreieck in die Untersteiermark ausgesiedelt wurde. Von einer „Freiwilligkeit“ konnte keine Rede sein. Mit dem Zug bzw. mit Pferdegespannen übersiedelten die Gottscheer in die nur 90 km entfernte „neue“ Heimat.
Die Umsiedlung beginnt!
Foto: Bundesarchiv Koblenz
Gottscheer Waldbauern wurden für die nächsten drei bis vier Jahre u. a. Weinbauern, sofern sie nicht zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Nur wenige Gottscheer siedelten nicht um, aber auch sie hatten schicksalshafte Jahre vor sich.
Begräbnis eines im Jahre 1943 von den Partisanen erschossenen Gottscheers in Munkendorf im Umsiedlungsgebiet bei Rann an der Save.
Foto: Maria Leustik
Besonders hart trafen die deutschen Gottscheer die AVNOJ-Beschlüsse (als Beschlüsse des AVNOJ-Präsidiums werden eine Reihe von Verfügungen, Erlässen und Bescheiden bezeichnet, welche die zukünftige staatliche Organisation Jugoslawiens nach Ende der Besatzung durch das Deutsche Reich und dessen Verbündete Italien, Ungarn und Bulgarien im Zweiten Weltkrieg betreffen). Der AVNOJ-Erlaß vom 21. November 1944 entschied über die Enteignung und anschließende entschädigungslose Konfiszierung des gesamten deutschen Staats- und Privatvermögens, welcher sich in der späteren gesetzlichen Fassung auch auf die Aberkennung der Bürgerrechte von Personen deutscher Abstammung bezog.
Anfang Mai 1945, mit Ende des Zweiten Weltkrieges, setzte aus dem Osten und Süden Europas eine Massenflucht Richtung Österreich und Deutschland ein. Viel zu spät und überstürzt schlossen sich auch die umgesiedelten Gottscheer aus dem Ranner Dreieck dem Flüchtlingsstrom an. Irgendwie wollte man Richtung Norden, man floh vor den Partisanen. Bald waren die Fluchtwege aber hoffnungslos verstopft, es ging kaum weiter. Und wem das Schicksal hold war, der erreichte Kärnten oder die Steiermark. Aber viele, vor allem Kleinkinder, überlebten die Strapazen nicht oder sie wurden von den Partisanen in eines der Straflager wie Tüchern, Herbertstein und Sterntal gebracht; viele starben hier.
Der Großteil der geflüchteten Gottscheer verbrachte die nächsten Jahre in Flüchtlingslagern in der Steiermark oder in Kärnten. Von 1950 bis 1960 wanderten viele der Lagerbewohner in andere Staaten Europas oder nach Übersee aus, hier vor allem in die USA undKanada, wo viele bereits Verwandte hatten. Viele Gottscheer verschlug es sogar nach Australien und Südamerika und sie faßten dort Fuß.
Die zum Teil schon bestehenden Vereine (in Österreich, New York und Cleveland) waren für die vertriebenen bzw. ausgewanderten Landsleute Heimatersatz, andere Organisationen wurden in den folgenden Jahren in Kanada und Deutschland gegründet.
Das Schicksal hat die Gottscheer in all den Jahren begleitet, ihr Leben war voller Entbehrungen, den Gottscheern wurde nichts geschenkt. Aber alle Schicksalsschläge haben sie überstanden, haben oft wieder von vorne begonnen; mit ihrem Fleiß und mit ihrer auch heute vielfach noch gelebten Sparsamkeit und mit Gottvertrauen haben sie alle Hürden gemeistert.
Heute sind die Gottscheer fern der „alten“ Heimat geschätzte Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft, haben es zu Wohlstand und oft auch zu Reichtum gebracht. In ihren Gemeinschaften, in den vielzähligen Gottscheer Vereinen, versuchen sie auch heute noch, Heimat zu leben und das Kulturgut des Gottscheerlandes zu pflegen und zu erhalten.
Das Schicksal der Gottscheer spiegelt sich heute auf den Friedhöfen wieder – Friedhof von Mösel mit Blick auf die schöne renovierte Kirche. Im Jahre 2009 konnte hier die 500-Jahr-Feier der Pfarre Mösel gefeiert werden.
Das Kulturerbe wird bei den zahlreichen Veranstaltungen, die von den einzelnen Gottscheer Vereinen organisiert werden, intensiv gelebt und gepflegt: sei es bei der Gottscheer Kulturwoche und Wallfahrt in Klagenfurt-Krastowitz, sei es bei der Gottscheer Wallfahrt in Graz-Mariatrost oder bei anderen Treffen in Österreich oder Deutschland, sei es bei den Picknicks oder beim großen Nordamerikanischen Gottscheer Treffen in USA und Kanada.
Mitglieder der Sing- und Trachtengruppe der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt umrahmen mit den alten Gottscheer Liedern die Veranstaltungen der Gottscheer Kulturwoche.
Das Schicksal hat es zu guter Letzt mit den Gottscheern doch noch gut gemeint: Es hat uns, obwohl über den ganzen Erdball verstreut, die große Anzahl an Gottscheer Vereinen gründen und über die vielen Jahre und Jahrzehnte erhalten lassen – für viele Ersatz für ihr geliebtes „Hoimötle“.
Heimat erleben werden Gottscheer und viele an Gottschee Interessierte auch bei der 51. Gottscheer Kulturwoche vom 1. bis 7. August 2016 in Klagenfurt, zu der die Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt herzlichst einlädt.
Hermann Leustik
Hermann Leustik
in: Programmheft zur Gottscheer Kulturwoche 2016, Seite 5 – 9,
Hrsg: Gottscheer Landsmannschaft Klagenfurt
Fotos:
Bundesarchiv Koblenz
Pokrajinski muzej Kočevje
Stud. Künstl
Maria Leustik