aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Unser Leben war schicksalhaft und gefährlich

von Karl Rankel,
Triest / Gottschee,
Landau / Rheinland Pfalz

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Ich bin in Triest geboren, wo mein Vater als Zollbeamter ange­stellt war. 1912 sind wir nach Gottschee übersiedelt, weil mein Vater pensioniert wurde und er in die Heimat wollte. Ich habe dann in Gottschee die Schulen besucht und bin 1926 als 18 1/2 jähriger zur jugoslawischen Fliegerei gegangen, weil die Aussichten fürs Studium sehr schlecht waren. Damals sah man die Gottscheer nicht gern im Gymnasium. Ich habe es in der ersten Klasse versucht, ohne die slowenische Sprache zu beherr­schen, ohne Erfolg. Ich habe es nicht geschafft, was ich dann spä­ter in Abendschulen nachgeholt habe. Bis 1. Januar 1941 war ich als Jagdflieger in der jugoslawischen Luftwaffe und war als Fluglehrer in verschiedenen ähnlichen Funktionen eingesetzt. Dann bin ich als Deutschstämmiger pensioniert worden.

Welchen Rang haben Sie da erreicht?

Ich war Oberstabsfeldwebel mit abgelegter Offiziersprüfung und man wollte eben nicht, daß ich – noch höher rücke. Erstens das und zweitens, ich war ja allein in der Jagdmaschine. Wir hatten gerade die Me 109 Maschinen von Deutschland gekauft, ein Jahr vorher war es. Diese flog ich und auch englische Maschinen. Und stets ganz allein drinn, nicht wahr! Da waren wir nicht mehr trag-bar, alles was deutschstämmig war. Wir waren 3 oder 4 Piloten, die nicht mehr tragbar wurden und sind in den Ruhestand ver­setzt worden.

Interessant, daß Sie ME 109 Maschinen bekommen haben. Das hab ich nicht gewußt.

Ja, ja, 98 Stück! Und die hab ich genau ein Jahr geflogen und habe dann andere wieder eingewiesen. Ich war einer der ältesten Piloten. Und alle modernen Maschinen, die im Ausland gekauft worden sind, wurden in unsere Elitestaffel gegeben. Wir waren die erfahrenen Piloten, denen die modernen englischen, die Spitfire, die Hurrican, die 8 MGs hatten, zugeteilt wurden. Später kamen, wie gesagt, die ME 109, das war in meinem letzten Dienstjahr. Wie ich schon angedeutet habe, besuchte ich in den Jahren vorher eine Militärschule, um in den Offiziersrang aufsteigen zu können. Das hat dann nicht mehr geklappt und ich bekam meinen Pensionsbescheid am gleichen Tag, als meine Kameraden befördert worden sind. Anfang Januar 1941 bin ich dann mit meiner Frau, sie stammt aus dem Banat und unseren beiden Kindern nach Gottschee umgezogen. Als 33-jähriger Pensionist hatte ich nicht die Absicht, mich definitiv in den Ruhestand zu begeben. Ich wollte schon da noch was machen. Na, mittlerweile brach dann der Krieg aus und bald danach begannen die Vorbereitungen für die Umsiedlung. Man wußte schon, daß die Umsiedlung stattfinden würde, man hat auch schon von der Untersteiermark gesprochen, denn Hitler wollte eine klare ethnische Grenze schaffen. No, da haben wir eben mit-gearbeitet, nicht wahr, ich habe im Walde Bäume und Grenzen vermessen und meine Frau hat beim Ausfüllen der verschiede­nen Bögen, mit Herrn Rom, der das geleitet hat, mitgearbeitet.

Frau Rankel

Ja, ich hab im Grundbuch gearbeitet, meine Mitarbeiterin war Fräulein Maria Jonke und Herr Klementschitsch unter der Lei­tung von Herrn Richard Lackner.

Herr Rankel berichtet weiter:

Ja, wie gesagt, es haben da verschiedene Gruppen an den Wald­vermessungen gearbeitet, dann wurden Kommissionen aufge­stellt, die die Häuser und sonstigen Gebäude geschätzt haben. So wurde das zurückgelassene Vermögen erfaßt, bzw. geschätzt. Und dann kam ein Sonderzug aus Deutschland, aus dem Reich, unter der Leitung von Polizeioberleutnant Herrn Zabel, und der hat dann die Übernahme und die Besichtigung der Umsiedler vor-genommen. Im Sonderzug sind alle Daten eines jeden Umsiedlers erfaßt worden, „Durchschleusung“ hat man es genannt. Auf Grund dieser Durchschleusung haben wir später den Umsiedlerausweis bekommen. Meine Familie ist dann im Dezember 1941 umgesiedelt worden. Wir kamen in einem Sonderzug mit unse­rem beweglichen Hab und Gut in Gurkfeld an. Dort wurde uns eine Wohnung zugewiesen und wir haben uns häuslich einge­richtet, so gut es eben ging. Wir sind eigentlich zufrieden gewe­sen, die Familie war gut untergebracht.

Schon vorher hatte ich mich zur Luftwaffe gemeldet gehabt, weil ich ja, wie ich schon erwähnt habe, aktiver Jagdflieger war und ich wollte da weitermachen in meinem Beruf. Man hatte mir damals gleich gesagt, ich solle die Umsiedlung abwarten, denn nach der Einbürgerung würde es einfacher sein. Na, und nach der Umsiedlung bin ich dann zur deutschen Luftwaffe gekommen und bin entsprechend meinen langjährigen Erfahrungen einge­setzt worden, wieder zur Ausbildung von Jägern, Nachtjägern und was man schon so macht in der Fliegerei.

Bitte erzählen Sie, Frau Rangle, wie ist es Ihnen ergangen als Hausfrau in der neuen Heimat?

Ich kann nicht klagen, wir sind sehr gut versorgt worden mit Lebensmitteln, auf Karten versteht sich. Im Oktober 1942 hab ich unser 3. Kind zur Welt gebracht. Und als der Krieg zu Ende war, hab ich die Nachricht bekommen, daß mein Mann verschollen sei. So war ich mit den drei Kindern allein da. In dieser Zeit wur­den Sonderzüge für Mütter mit Kleinkindern eingesetzt. Diese sollten nach Osterreich gebracht werden. Ich wollte nach Oster­reich flüchten.

„Na, seid Ihr evakuiert worden?“

Ja, so war es, wir sind evakuiert worden, am 5. Mai war es, zu spät schon.

„Sind Sie von den Partisanen behelligt worden? Haben Sie ir­gendwie schwere Schicksale erleiden müssen?

Eigentlich nicht. Nein. Ich war mit den anderen Gottscheern im Sonderzug, darin haben wir 14 Tage gehaust auf offener Strecke. Vor Marburg haben wir gewartet, daß wir nach Osterreich kom­men. Aber das hat nicht geklappt. Dann hatte ich durch Bekannte das Glück, wieder nach Gurkfeld zurück zu kommen.

„Mit den Kindern zurück?“

Mit den Kindern und mit allen meinen Sachen.

Und wie alt waren Ihre Kinder?

Zweieinhalb, vier und sechs.

Und Sie sind in das gleiche Haus wieder zurückgekommen?

In das gleiche Haus.

Und keine Schwierigkeiten gehabt?

Nein, ich hab keine Schwierigkeiten gehabt. Meine Schwieger­eltern und meine Schwägerin waren noch dort, die sind nicht geflüchtet und haben mein ganzes Mobilar gerettet.

Und Ihre Schwiegereltern konnten praktisch alles retten, und sind nicht behelligt worden?“

Nein, ich bin nicht behelligt worden, im Gegenteil. Meine Schwä­gerin, die im Gemeindeamt arbeitete, hatte gute Verbindung gehabt zum Sekretär, und er hat uns in Schutz genommen.

„Wie lange blieben Sie dann unten?“

Bis zur Rückkehr meines Mannes war ich da und ganz allein auf mich gestellt. Und wie mein Mann zurückgekommen ist, weil wir keine Wohnung hatten in Zagreb –

Sie sind dann von Gurkfeld nach Zagreb gezogen? Ja, bis 1947 als mein Mann –

„Da muß jetzt ich weiterreden, das kannst Du jetzt nicht so darlegen“ schaltet sich Herr Rankel ein.

Nun gut: Aber berichten Sie zuerst noch, was Sie als deutscher Soldat gemacht haben.

Ja, geflogen halt. Ich war meistens im Heimatkriegsgebiet eingesetzt, als Fluglehrer und so weiter. Und Ende 1943 ist die Zerstörerschule, in der ich damals war, aufgelöst worden, das war in Memmingen. Da sind die Nachtjäger ausgebildet worden und es bestand schon ein Mangel an Flugzeugen. Also diese Schule ist aufgelöst worden, die jüngeren Piloten kamen an die Front als Zerstörergeschwader und ich bin auf eine Flugleiterschule ge­schickt worden, um dann als Flugleiter meine Erfahrungen ein-zubringen. Nach Beendigung der Flugleiterschule bin ich in den Süd-Osten versetzt worden, zuerst nach Agram und kurz darauf bekam ich eine leitende Stellung in einer Fliegerhorstkommandatur in Bosnien, von wo aus auch Einsätze geflogen worden sind, zur Bekämpfung der Partisanen. Und hier hab ich den Flugleiterdienst gemacht. Ende September 1944 sind wir von den Partisanen überrannt worden, nachdem einige Angriffe vorher abge­wehrt werden konnten. Ich bin in der Flugleitung schwer ver­wundet zurückgeblieben. Nur ein Teil der Kommandatur konnte sich retten, die meisten sind gefallen, viele sind in Gefangen­schaft gekommen, die meisten aber in den Kämpfen umgekom­men.

Ich bin in der Flugleitung verschüttet worden, und ich kam so in Gefangenschaft. Und als man die Gefangenen noch sortierte, wer wohin und mit wem was passieren sollte, haben die Engländer Wind bekommen, daß der deutsche Flugleiter noch da ist und die haben dann gleich die Hand auf mich gelegt. Den Mann brau­chen wir, den Mann brauchen wir, denn sie haben die Partisanen versorgt und die haben niemanden gehabt, der ein bißl was ver­standen hätte, der die Maschinen eventuell auch zur Landung hätte leiten können. Bis dahin haben die nur abgeworfen. Und als es mir dann gesundheitlich etwas besser ging, ich hatte eine Gehirnerschütterung und vermutlich auch einen Schädelbruch, wie man nachträglich in Deutschland festgestellt hat, bin ich als Schwerkriegsbeschädigter eingestuft worden. Man hat mich dann ins innere Bosniens verfrachtet und hier bin ich gefragt wor­den, ob ich auch dem Tito dienen wolle, nachdem ich dem Hitler so treu gedient hätte. Und der Kommissär macht nur so ein Zeichen. Da sag ich, ja, ich hab ja keine Wahl, was Sie mir als Gefangenen zuteilen, das muß ich machen. In Ordnung, sagt er, wir wollen diese Wiese da ausbauen, damit dort Maschinen lan­den können, um verwundete Partisanen nach Italien zu bringen, nach Bari. Und abgeschossene amerikanische Flieger sollten zurückgebracht werden, die man bis dahin nur in den Wäldern gesammelt und in den Partisanenstützpunkten untergebracht hatte. Na, und diese Arbeit hab ich dann gemacht. Dabei hatte ich immer die schützende Hand der Amerikaner und der Engländer, die als Missionschefs dort waren, über mir. Auch Russen waren da und auch mit diesen hab ich mich gut verstan­den. Sie haben mich gebraucht. Deshalb bin ich von allen gut behandelt worden. Von den westlichen Alliierten hab ich es ja nicht anderes erwartet, die waren wirklich ganz sauber, aber die drei Russen waren auch sehr nett zu mir, ich kann sagen, kame­radschaftlich. Ich habe meine Arbeit da geleistet und immer hat es geheißen, naja, wir werden ja sehen, was weiter passiert, nach dem Krieg wollen wir auch mit Dir reinen Tisch machen. Als der Krieg zu Ende war, ist ein Großteil der ehemaligen jugoslawi­schen Luftwaffe bei den Partisanen untergekommen, ob freiwil­lig oder sonstwie, weiß ich nicht. Jedenfalls sind sie in Positionen gekommen. Die haben mich alle gekannt und haben sich gesagt, den Rankel können wir gut gebrauchen. In der Flugzeugwerft kann er die Organisationsabteilung leiten und alles wieder auf-bauen. Das hab ich dann auch gemacht. Es war so eine Art Zwangsarbeit, nicht wahr, wir sind alle dazu verurteilt worden, und ich bin dann amnestiert worden mit der Bedingung, daß ich einen Arbeitsvertrag auf 10 Jahre unterschreibe. Man wollte die Leute, die sich nicht die Hände blutig gemacht hatten, wie es Tito immer gesagt hat, denen würde nichts passieren. Na, man konn­te mir nichts Schlechtes nachweisen, im Gegenteil, die meisten haben gut für mich gesprochen. Nachdem ich in diesem Werk Erfolg gehabt habe, hat man mich angestellt. Natürlich mußte ich die erste Zeit ganz schön ruhig sein. Trotzdem hab ich mich um eine Wohnung in Agram bemüht, was nicht leicht war. Meine Vorgesetzten in diesem Werk aber sind mir zur Hand gegangen, weil ich ja benötigt wurde. Im September 1947 hab ich dann tatsächlich eine Wohnung bekommen und so konnte ich meine Familie nach Zagreb holen. Von Gurkfeld nach Agram. Na, und da haben wir ziemlich normal gelebt. Ich kann nicht sagen ganz ruhig. Man hat mich einige Male bei Nacht geholt, NKWD oder wie die geheißen haben und immer wieder verhört. Einmal wars eine Verwechslung, ein anderes Mal wars eine Verdächtigung, und dann wieder eine Denunzierung aus Gottschee. Da hieß es, ich sei aus der königlichen Luftwaffe nach Deutschland geflüch­tet und nicht daß ich umgesiedelt worden bin. Entweder er hat es böswillig getan oder es ist mißverstanden worden. Da bin ich lange verhört worden. Als ich nachweisen konnte, daß ich als Pensionist über 100 km vom nächsten Flugzeug entfernt war, das konnte ich ja mit Papieren nachweisen, da hatte ich wieder Ruhe. Und nach 1948, als die Komintern-Sache war, also der Bruch mit Stalin, da waren wir auf einmal die Sichersten, nicht wahr. Da waren ja die Stalinisten dem Tito gefährlich und nicht wir. Wir haben dann einigermaßen ruhig gelebt und ich hab dann, als ich durch Zufall vom Abkommen zwischen der deutschen Bundesregierung und der jugoslawischen Regierung erfahren hatte, wonach die Deutschen aus Jugoslawien auswandern können, bin ich zum deutschen Konsulat, aber so ganz verstohlen.

Zum Glück befand sich oben im gleichen Gebäude auch eine Herzstation. Da hab ich mich krank gemeldet, weil ja alles über-wacht worden ist, nicht, wer da hinein geht und heraus kommt. Durch die Überweisung in die Herzstation habe ich mich absi­chern können.

Wenn ich richtig verstanden habe, in diesem Haus befand sich auch eine Ambulanz, oder sowas ähnliches?

Ja, eine Herzstation, wo EKG’s gemacht und andere Unter­suchungen vorgenommen wurden.

Aber nicht in Verbindung mit dem Konsulat?

Nein, nein. Diese war eine oder zwei Etagen höher.

Im Konsulat hab ich den Umsiedlerausweis vorgelegt. Meine Frau hat auf der Flucht zwar alles weggeworfen, alle Dokumente, zum Glück aber hat sie diesen Ausweis übersehen. Dann hab ich denen erklärt, daß ich repatriiert werden möchte. Was ich unter Repatriierung verstünde? Daß ich wieder zurück will, weil ich doch deutscher Staatsbürger geworden bin, Reichsbürger, sag ich, und als solcher müßt ich ja jetzt Anspruch haben, wieder hi­naus zu kommen. Ja, was haben Sie für Papiere? Das und das. Aber da stand etwas von italienischer Staatsbürgerschaft. Es gelang mir nicht, ihm klar zu machen, daß das Gottscheerland 1941 an Italien fiel, und alles darauf zurückzuführen ist. Bin dann ein zweites Mal hin. Dann hab ich ihm ganz energisch gesagt: Wenn Sie die Geographie nicht kennen, dann bitte erkundigen Sie sich, wer und was Gottscheer sind, und wann es italienisch war. Na, dann ist es auf einmal gegangen. Er hat mir Fragebögen gegeben, und was das Unverschämteste war, ich mußte mit der kompletten Familie hinauf, was furchtbar gefährlich war, damit sie überprüfen konnten, ob wir auch wirklich Deutsche sind, ob wir deutsch sprechen. Und das, obwohl ich Papiere hatte. Und ich habe sogar noch eine Aufforderung gefunden, wo stand, daß wir uns am so und sovielten im Kinosaal zwecks Übernahme der deutschen Einbürgerungsurkunde einzufinden hätten. Diese Vorladung aber war nicht von mir, sondern von meinem Vater, der genauso wie ich, Karl Rankel, hieß. Und auf einmal hat er die-sen Schrieb als etwas Großes angesehen, wogegen mein Umsiedlerausweis mit Unterschrift vom Polizeibevollmächtigten nichts galt. Na, wir sind dann paarweise auf Umwegen hinauf ins Konsulat, und jeder einzelne ist überprüft worden, ob er deutsch spricht und so weiter. Und als wir dann ins Umsiedlerlager Pidding kamen, da waren 80 Prozent Volksdeutsche, die Jankovitsch, Jovanowitsch und ähnlich hießen und kaum ein Wort deutsch sprechen konnten. Die Behandlung auf dem deut­schen Konsulat habe ich als kränkend empfunden, außerdem war es für uns eine große Gefährdung. Man hätte uns gleich einen Paß ausstellen und uns den Umzug nach Deutschland ermögli­chen können. So aber hat es zwei Jahre gedauert, bis wir über Köln und über die französische Botschaft – Deutschland hatte die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen, als dieses Ostdeutschland als Staat anerkannt hatte und wurde von Frankreich vertreten – die Genehmigung bekommen haben, nach Deutschland auszuwandern. Vorher aber mußte ich noch die Löschung der jugoslawischen Staatsbürgerschaft erreichen, was noch große Sorgen mit sich brachte. Es war für uns eine Erlösung, als diese aus Belgrad eintraf.

Wissen Sie noch den Tag und Monat?

Zwei Jahre hat es gedauert. Ja, am 28. September 1958 sind wir im Grenzdurchgangslager Pidding eingetroffen und das war einer der schönsten Tage.

Pidding, wo ist das?

Das ist an der deutsch-österreichischen Grenze, bei Freilassing. Pidding, mit zwei d. Hier sind wir erfaßt worden. Als ich meine Papiere vorlegte, meinte er, daß wir diesen langwierigen Weg nicht hätten gehen brauchen.

Und wie ging es dann weiter?

Ja, wir waren einige Wochen in dem Lager. Dann kam eine Kommission, die die Neubürger auf die verschiedenen Bundes­länder aufteilte. Ich kannte verschiedene Teile Deutschlands recht gut, da ich ja während des Krieges in mehreren Garnisonen ein-gesetzt war. Die Rheinland-Pfalz kannte ich und die ist erst in den letzten Jahren mit Umsiedlern belegt worden, weil die Franzosen früher keine nehmen wollten, da mußte am ehesten eine Wohnung zu bekommen sein, dachte ich. Und da sagte der Mann: „Na, gehens doch nach Rheinland-Pfalz!“ In Bayern wären wir schon gerne geblieben, aber da hats geheißen, dort müssen Sie mindestens 6 Monate im Lager bleiben. Deshalb habe ich mich für Rheinland-Pfalz entschieden. Wir fuhren nach Osthofen ins Landesdurchgangslager, wo wir nur einige Tage waren. Da gehen Sie am besten nach Landau, das ist eine Beamtenstadt, sagte er, Sie werden ja als 131er, das ist als Pensionist, anerkannt und für ihre Kinder gibt es im Umkreis von 30, 40 Kilometern verschiedene Städte, Ludwigshafen, Speyer, Karlsruhe, dort gibts Arbeit für die Kinder.

Was ist das, ein 131 er?

Das ist der Paragraph 131 für gewesene Staatsbeamte, die ihren Dienstherren verloren haben, aber bis 8. Mai 1945 mindestens 10 Dienstjahre hatten. Und ich hatte ja 18 und er meinte, ich würde wieder im Beruf eingestellt oder werde pensioniert. Und genau so ist gekommen.

Sie ließen sich also pensionieren?

Ja, ich mußte einen Antrag auf Wiederverwendung stellen und man hätte mich gerne als Flugleiter eingestellt, weil daran damals Bedarf bestand. In den Fragebögen mußte ich natürlich angeben, daß ich hirngeschädigt bin. Da war es aus: den Tepp können wir ja nicht nehmen, der kann die Verantwortung nicht tragen und wenn was passiert, dann können wir ihn gar nicht zur Verant­wortung ziehen, am besten pensionieren wir ihn. Er ist 51 Jahre alt, da kann er sich noch was dazu verdienen. Und so ist es dann auch gekommen.

Haben Sie wirklich noch die Möglichkeit gehabt, etwas zu tun?

Ja, ich war 3 Jahre beim Arbeitsamt, zum Schluß als Abteilungs­leiter, fest angestellt. Meine Pension wurde inzwischen geregelt und meine Schwerbeschädigtensache auch. Davon konnte ich ganz gut leben. Für die Sozialversicherung habe ich auch meine Jahre zusammen bekommen. Es ist mir alles anerkannt worden. So habe ich meine 180 Monate zusammenbekommen. Es kam noch eine Angestelltenrente aus Berlin zur Pension dazu, und infolgedessen kann ich heute ganz gut leben. Ich konnte meine Kinder studieren lassen. Der jüngste ist vor zweieinhalb Jahren mit dem Studium fertig geworden. Nun sind die Kinder alle ver­sorgt, Er ist in Marbach an einem Gymnasium, wohnt aber in Stuttgart, weil er da geheiratet hat. Und der nächste Sohn ist in Vancouver.

Ja, der Sohn ist in Vancouver und hat zwei Mädchen. Und nach-dem ich ja fast jedes Jahr einmal drüben bin und er auch ab und zu einmal kommt und jedesmal ein Kind mitbringt, beherrschen die beiden die deutsche Sprache, zu meiner und meiner Frau großen Freude, man kann sagen, ziemlich gut.

Frau Rankel schaltet sich ein

Ja, ich freue mich immer sehr, wenn die Enkelinnen kommen. Sie sind sehr lieb und anhänglich, und sie sind gewillt, Deutsch zu sprechen. Sie freuen sich, daß sie nach Krastowitz mitdürfen. Und der Sohn hat mir geschrieben, daß er großen Wert darauf legt, daß sie der Kulturwoche beiwohnt, damit sie ihm viel davon erzählen kann.

Bitte, erzähl Du jetzt etwas, in welche Klasse gehst Du?

Ich geh in die sechste Klasse, bin 10 Jahre alt. Meine Schwester geht in die siebente Klasse und sie ist 12. Sie war nicht hier, aber sie will. Hier ist es schön, und hoffentlich kann ich noch einmal kommen. Mein Opa und meine Oma sind mit mir hier und wir können auch nächstes Jahr, wenn ich komme, aber ich weiß nicht.

Gefällt es Dir hier?

Schön.

Und wann wirst Du wieder zurückgehen? Am 14. August.

Wann beginnt die Schule?

Ich glaube es ist der 2. oder 3. September.

Welche Fremdsprachen lernst Du?

Ich weiß nicht. Ja, ich gehe in die deutsche Schule, von 9 bis 12, nur samstags, einmal in der Woche und da gehe ich in die vierte Klasse.

Und dort lernst Du nur Deutsch? Ja. Frau Ranke] schaltet sich wieder ein

Das ist privat, auf den Wunsch der Eltern. Eines der Eltern bringt sie auch immer zur Schule und da lernen sie eben das Deutsch. Von der Schule aus haben sie keine Fremdsprache. Erst nächstes Jahr werden sie dann französisch lernen.

Und jetzt sag mir noch schnell, wo arbeitet Dein Vater?

Er arbeitet an diese Elevator, weißt Du. Aufzüge. Er guckt, ob dies alles gut ist.

Wenn vielleicht der Opa das genauer sagen könnte.

Ja, er hatte das Glück, unter 11 Bewerbern als Regierungs­inspektor eingestellt zu werden und hat ein Gebiet von Vancou­ver zu kontrollieren, damit alle Aufzüge immer den Vorschriften entsprechen.

Die neugebauten Hochhäuser müssen natürlich besonders streng kontrolliert werden, bevor die Betriebserlaubnis durch seine Unterschrift erteilt werden kann. Er trägt die ganze Verantwor­tung, wenn da was passiert, und bis jetzt ist alles immer glatt gegangen. Und wie gesagt, er ist sehr zufrieden, in seiner siche­ren Position im Staatsdienst.

Was hat er studiert?

Er hat Maschinenbau studiert.

Und jetzt haben Sie noch nicht vom dritten Sohn oder Schwieger­sohn erzählt.

Ja, wir haben da noch die ältere Tochter, die hat in Deutschland einen gebürtigen Amerikaner namens Robert Meyer kennenge-lernt, der aus Berlin stammt, aber drüben geboren und aufge­wachsen ist. Er ist Elektronikingenieur. Und die waren 5 Jahre hier, und die Caroline, die auch schon hier in Krastowitz war, ist in Heidelberg geboren und mit sieben Jahren sind sie dann nach Amerika gezogen, weil er dorthin versetzt worden ist. Nach Kap Kennedy, in die Equipe von Werner von Braun und nach Auflösung dieser Raumfahrtsache ist er in seinem Fach nach Miami versetzt worden. Und jetzt ziehen sie gerade nach Vermont um, weil er oben wieder eine neue Stelle hat. Und das Mädchen spricht und schreibt auch fließend Deutsch. Die Caroline, ja. Die war auch schon hier, und man war sehr über­rascht, daß sie so gut Deutsch spricht. Wir legen großen Wert dar-auf, daß die Kinder die deutsche Sprache gut beherrschen, in Wort und in Schrift. Bis jetzt sind wir sehr zufrieden.

Und der Mann von der jüngsten Tochter?

Er ist Chemotechniker. Er hat zunächst als Laborant hier ausge­lernt und anschließend Chemie studiert. Jetzt hat er als Techniker eine gute Position in der BASF (Badische Anilin- und Sodafabrik), einem großen Werk in Ludwigshafen und beide sind sehr zufrie­den mit ihrem Los in Deutschland und wir können sagen, daß wir gute deutsche Bundesbürger sind. Aber wir vergessen auch nicht, daß wir österreichischer Abstammung sind und Gottscheer. Darauf wird immer Wert gelegt, daß wir Gottscheer sind. Und das bei jeder Gelegenheit. So bei ihrer Hochzeit. Das sind doch Schwaben, eine Industriellenfamilie, eine sehr angesehene Stutt­garter Familie, und die wollten wissen, von woher wir sind. Denen mußte ich die ganze Geschichte über Gottschee erzählen und noch zwei Gottscheer Lieder vorsingen. Und die waren begei­stert, was sie da so über Gottschee gehört haben.

Ein sehr schicksalreiches Leben! Und eigentlich hat Sie das Schicksal doch in eine günstige Bahn geführt, denn wenn Sie nicht von unten heraufgekommen wären, hätte sich sicher keine so vorteilhafte Zukunft für Ihre Kinder ergeben.

Ganz, ganz bestimmt nicht. Und die Kinder haben auch gesagt, wenn Ihr Eltern nicht geht, wir gehen! Aber wir wollten uns nicht trennen von den Kindern. Und wir wollten die Umsiedlung unbe­dingt und so hatten wir das Glück, daß wir alle zusammen herausgekommen sind.

Herr Rankel, würden Sie vielleicht noch einmal sagen, was Sie eingangs bezüglich der jüngeren Geschichte der Gottscheer gemeint haben.

Ja, ich bin der Ansicht, daß uns über die Einzelschicksale bis heute ein zusammenfassendes Werk fehlt. Unsere Kinder und die späteren Nachfahren sollten erfahren, was dann weiter aus den Gottscheern geworden ist. Wir haben ja wunderbare Bücher, von Erich Petschauer, nicht wahr und dann das Wörterbuch und das Jahrhundertbuch der Gottscheer und wie sie alle heißen. Die beschreiben alle schön die Geschichte der Gottscheer, aber den Anschluß und das weitere Schicksal findet man nirgends zusam­menfassend. Daran wären meine zwei Söhne sehr interessiert. Die waren ja noch klein, der eine erst Ende 1950 geboren, die wissen ja von alldem nichts, nur was sie so von uns hören. Und als Germanist hätte er gerne ein Werk oder wenn möglich alle diese Bücher, die über das Schicksal der Gottscheer berichten, von der Ansiedlung bis zu dem Tag, wo halt das jetzt besprochene Werk enden wird. Ja, er hat oft erwähnt, daß er auch eine Doktor­arbeit machen will, und es ist gut möglich, daß er sich so ein Thema aussucht.

Dir. E. Erker: Wir suchen ja nach einem Dissertanten, der diese Arbeit durchführt und es wäre geradezu ideal, wenn ein Gottscheer das schriebe. Wenn ein Gottscheer aus diesen vielen Erlebnisberichten die jüngste Geschichte der Gottscheer schrie­be. Derzeit ist daran gedacht, daß es an der Universität Graz geschieht. Soweit haben wir das abgesprochen, aber ob das dann wirklich auch sein wird, das ist die große Frage. Denn es muß jemand schreiben, der großes Interesse daran hat. Es soll nicht einer schreiben, der darauf gestoßen werden muß, der nur schreibt, weil er den Doktortitel erlangen will. Es soll einer diese Arbeit machen, der von sich aus, von der Abstammung, der Her­kunft her, an dieser neueren Geschichte der Gottscheer interes­siert ist. Es ist gut, Herr Rankel, wenn Sie uns das sagen, denn wir haben nun schon jemanden im Vorgriff, im Visier sozusagen. Und wenn das mit der Universität Graz nicht klappt, dann können wir in die Ferne gehen und einen Gottscheer suchen. Ich danke sehr für diesen Hinweis, wie für Ihren Bericht.

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994