aus der Reihe: Gottscheer Flüchtlingsschicksale

Vorwort-Ludwig-Kren

von Ludwig Kren
Mitterdorf, geb. 19.Dez.1920
wohnt in Maria Rain bei Klagenfurt

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Wie Spreu im Winde

Gottscheer im Sog des Jahres 1945

Alles hat seine Stunde, und eine Zeit ist bestimmt für jedes Vorhaben unter dem Himmel: Eine Zeit fürs Geborenwerden und eine Zeit fürs Sterben … Prd. 3, 1-2

„Seit Mitternacht Schweigen nun an allen Fronten die Waffen…“ (aus dem letzten Wehrmachtsbericht vom 9. Mai 1945). Und am 8. Mai 1945 hatte Uiberreither, Gauleiter und Chef der Zivilverwaltung in der Untersteiermark, den im Rann-Sawe-Streifen an­gesiedelten Volksdeutschen die Erlaubnis erteilt, das Gebiet zu verlassen ….

 

(Fortsetzung von vorheriger Seite : )

Die Erlebnisberichte aus diesen Tagen, Wochen und Monaten, die folgten, bilden den Inhalt dieser Ausgabe der Schriftenreihe Gottschee. Verläßliche Zahlen über Tote und Ver­mißte können nicht angegeben werden: die Opfer mußten ihre gesamten Kräfte auf das Überleben ausrichten, die Täter lebten sich in Gewaltorgien aus, die jahrelang aufgestautem Haß ent­sprangen. Schätzungen, ergänzt durch Hochrechnungen, lassen den Schluß zu, daß die Opferbilanz unter den Gottscheern wahr­scheinlich unter 10 % zu sehen ist.

Aufgenommen wurden auch Berichte über die Zeit nach 1945, denn für die Gottscheer Nachkommen, die jene schweren Kriegs- und Nachkriegstage selbst nicht miterlebt haben, ist es von Bedeutung zu erfahren, wie sich ihre Eltern und Vorfahren als Flüchtlinge in der neuen Umwelt zurechtgefunden, wie sie sich aus dem Nichts eine neue Existenz aufgebaut haben. In Amerika und Australien mußten sie ohne Kenntnisse der Landessprache in einem neuen Beruf ganz unten anfangen und haben es mit Fleiß, Sparsamkeit und Gottvertrauen geschafft, sich wirtschaftlich eine feste Grundlage zu erarbeiten und den Kindern eine gute Aus­bildung zu ermöglichen. In diesen Schilderungen widerspiegelt sich der Charakter, die Haltung und Lebensauffassung der Gottscheer besonders deutlich.

Die Gottscheer und das Gottscheer Ländchen! Im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts wiesen die Patriarchen von Aquileja die Grafen von Ortenburg (in Oberkärnten) als ihre Lehensnehmer an, den großen Wald in Krain zu kolonisieren, ein Gebiet, das von Ljubljana-Laibach etwa 55 km, von Zagreb-Agram etwa 85 km, von Triest etwa 80 km entfernt ist. Die Siedler dürften zum größten Teil aus den oberkärntisch-osttirolischen Besitzungen der Ortenburger gekommen sein, sicher auch von den Besitzungen in Krain (hier stand ja die Burg Ortenegg). Die Urkunde aus der Kanzlei des Patriarchen Bertrand von Aquileja vom 1. September 1339 gibt Kunde vom erfolgreich anlaufenden Siedlungswerk, wobei der erste Flurname des Ländchens genannt wird: Moos­wald; jene vom 1. Mai 1363, gegeben von Ludwig von Aquileja, nennt zum ersten Male den Namen des späteren Hauptortes, der dem gesamten Ländchen den Namen gab: Gottschee.

Die Ortenburger sterben 1418 aus und vererben die Herrschaft an die Grafen von Cilli; nach dem gewaltsamen Tode des letzten Cilliers, Ulrich II., 1456 vor Belgrad, fällt das Gebiet an die Habsburger zurück. Kaiser Friedrich III. verleiht dem Hauptort des Gebietes, Gottschee, 1471 das Stadtrecht, 1492 aber den Bewohnern der Herrschaft das Recht auf Wanderhandel (Hausierpatent), alles vor allem „in Ansehen des erlittenen Türken-ruins“ – innerhalb von rund 100 Jahren waren die Türken 20 mal eingefallen und hatten den Hauptort wiederholt in Asche gelegt.

Gut 150 Jahre bestimmten dann Pfandherrn die Geschicke des Ländchens. Unter der Pfandherrschaft des kroatischen Geschlechts der Blagay ließ der Landesherr eine neue Schätzung der Ertragsfähigkeit des Ländchens durchführen; das Ergebnis war das Urbarium von 1574. Diese Niederschrift ist auch kulturgeschichtlich von Interesse, belegt sie doch, daß Familiennamen damals noch nicht allgemein in Gebrauch waren. Wir finden z. B. beim Dorfe Hinterberg“ … des Gregor Sun …“ bzw. „ … des Casparn Sun …“; bei Pröse … Des Michls Sun …“ Daß die Gottscheer durch die kroatischen Amtsschreiber der Herrschaft z. T. zu ihren slawisch klingenden Namen kamen, ist augenscheinlich: des Gregorn Sun wurde Gregoritsch, ähnlich Gasparitsch, Michitsch usw. Hier soll auf Valvasors „Ehre des Herzogtums Krain“ (1689) hingewiesen werden, der die Gottscheer erwähnt und ihre Sprache als „altväterisch und grobteutsch“ bezeichnet. Die Franzosenkriege heischen ihre Opfer, das Maschinenzeitalter zieht ein, die Bevölkerung steigt an. Ehemalige Hausierer etablieren sich in den Großstädten der Monarchie, die ersten wagen den Weg über den Ozean nach Amerika, die neue Verwaltungseinteilung auf Grund des Silvesterpatents 1851 wies Teile des Ländchens slowenischen Nachbarbezirken zu. Mit 25.916 Einwohnern ist 1867 der höch­ste Stand erreicht. Die nationalen Auseinandersetzungen, die die Regierungsarbeit, vor allem in der österreichischen Hälfte der Donaumonarchie, im ausgehenden 19. Jahrhundert fast lahmlegten, machten auch vor dem Gottscheer Ländchen nicht halt; die Ränder, vor allem im Süden, begannen zu reißen. Wirkung zeig­ten auch die Veränderungen in der Landeshauptstadt Laibach, wo seit 1861 ein slowenischer Bürgermeister waltete und der Landtag 1882 die Einführung der slowenischen Amtssprache beschloß. Die Gründung des Schulvereins (in Gottschee am 15. Oktober 1881) und des Deutschen Volksrates für Krain (1906) waren Abwehrmaßnahmen. Aber mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 begann für das Deutschtum in Krain (nunmehr Slowenien) der Anfang vom Ende. Es setzte ein Entnationalisierungsprozeß ein, vor allem über die Schule, den auch ver­zweifelte Aktionen, wie der Schulstreik der Gottscheer im November 1926 in Stockendorf, nicht aufhalten konnte. Waren 1918 in 33 deutschen Volksschulen mit 65 Klassen 60 deutsche Lehrer tätig, so gab es 1939 noch 5 deutsche Nebenklassen. Dazu kamen wirtschaftliche Eingriffe (teilweise Enteignung des Hauses Auersperg, erschwerter Grunderwerb in einer 50 km-Zone ab 1937 usw.).

In diese gespannte Atmosphäre fiel der Kriegsausbruch 1939, der Balkanfeldzug und die Aufteilung des Königreiches Jugoslawien im April 1941; das Gottscheer Ländchen wurde italienische Besatzungszone! Adolf Hitler versicherte am 26. April einer Ab­ordnung der Gottscheer, daß ihr Schicksal und ihre Zukunft im Rahmen des Großdeutschen Reiches gesichert sei. Im Klartext also: Umsiedlung! Eine gut eingespielte Maschinerie – bei den Umsiedlungen aus der Bukowina, aus Bessarabien und der Dobrudscha hatte sie sich bereits bewährt – begann zu laufen und 11.818 Gottscheer entschlossen sich, ihr Ländchen (ca. 850 km2, 175 Ortschaften) zu verlassen; das genaue Reiseziel wurde ihnen allerdings erst am 17. November 1941 bekannt gegeben, da lief aber die Umsiedlung schon.

Und auf dem letzten Teil dieses Weges, der den Gottscheern zu gehen aufgegeben worden war, kam es zur Konfrontation mit Titos Partisanen. Diese Bewegung hatte seit 1941 gegen die Besatzungsmächte Deutsches Reich und Italien einen Volks­befreiungskampf geführt; parallel dazu einen Bürgerkrieg, aus dem sie als Sieger hervorgegangen ist. Die „Männer mit dem Titostern auf den Mützen“ zwangen auch den größten Teil der Flüchtlinge in die Sammel-, Internierungs- und Vernichtungs­lager des im Entstehen begriffenen kommunistischen Jugoslawien; Tüchern (Teharje), Sterntal (Strnisce Kidricevo) und Hrastovec mögen stellvertretend genannt sein.

Bei der Dezembersitzung 1979 der Sepp-König-Stiftung der Gottscheer Landsmannschaft in Klagenfurt regte ich an, über diese Ereignisse eine Dokumentation zu verfassen. Ernest Erker, pensionierte Hauptschuldirektor, Sohn von Gottscheer Eltern – er ist am 19. Oktober 1990 gestorben – griff die Idee begeistert auf und begann sofort mit Aufzeichnungen; als Ergebnis liegen 14 Kassetten vor. In einem Aufruf in der Gottscheer Zeitung ersuch­te ich Wissensträger, ihre Erlebnisse niederzuschreiben und der Redaktion zu übermitteln; es langten – ebenfalls – 14 Arbeiten ein.

Auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Kultur im Rahmen der Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland im September 1993 erklärte sich deren Geschäftsführer, Max Jaklitsch, bereit, die Dokumentation im Rahmen der „Schriftenreihe Gottschee“, die er betreut, herauszubringen. Ein Redaktionsausschuß nahm sich vor, die vorliegenden Berichte auf ihren Aussagewert zu prüfen und etwaige Längen bzw. Wiederholungen auszuschneiden, ohne jedoch an der Aussage etwas zu ändern. Das Vorhaben ist abgeschlossen, es wird hiermit der Öffentlichkeit übergeben.

Die Berichte stellen Momentaufnahmen aus den dunkelsten Zeitabschnitten unserer jüngsten Geschichte dar, gewidmet jenen, die für immer schweigen müssen, jenen, die gedemütigt und aller menschlichen Würde beraubt, geschunden und ausgesetzt einen einsamen Tod gestorben sind.

Unser Dank gilt jenen Überlebenden der apokalyptischen Tage des Jahres 1945, die ihren Auftrag erkannt haben, nämlich zu zeugen, was irregeleitete Menschen ihren Mitmenschen antun können.

Wenn diese Dokumentation auch nur etwas zur Festigung jenes Fundaments beiträgt, das die Brücke in eine andere, menschen­würdigere Zukunft sichern soll, dann hat sie ihre Aufgabe getan.

Alle, die guten Willens sind, mögen an dieser Brücke mitbauen!

Maria Rain, im Frühjahr 1994                                                           Ludwig Kren

Quellenangaben:

1330 – 1941  Gottschee
Die ehemalige deutsche Sprachinsel

Bearbeitet von:
Wilhelm Lampeter und Ludwig Kren
Herausgeber:
Gottscheer Landsmannschaft in Deutschland

Weilheim 1994